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»Strahlenproletariat in deutschen Atomkraftwerken«

Nachricht von Jutta Krellmann, Dorothée Menzner,

In deutschen AKW werden tausende Leiharbeiter für gefährliche Arbeiten eingesetzt. Die Bundesregierung musste in ihrer Antwort (Drs. 17/6031, PDF) auf eine Kleine Anfrage (Drs. 17/5738, PDF) der Fraktion DIE LINKE einräumen, dass diese Arbeiter einer deutlich höheren Strahlenbelastung ausgesetzt sind als Stammbeschäftigte.

Fremdpersonal bekommt zunehmend mehr Strahlung ab als Eigenpersonal:

Bundesregierung bestätigt Strahlenproletariat in deutschen Atomkraftwerken. Auch unter legalen Maßstäben bekommen die Fremdbeschäftigten bei weitem den größten Anteil der Strahlendosis ab:

2009: 88,3% der Strahlendosen bekommen Fremdbeschäftigte ab, Stammbeschäftigte 11.7%, wobei die Strahlenbelastung für Fremdpersonal pro Person im Durchschnitt fast doppelt so hoch ist, wie die für Eigenpersonal.

Die Anteile sind seit 1980 stetig gestiegen: 1980 betrug der Anteil der Strahlendosis der Fremdbeschäftigten noch 75,2% und lag pro Person im Schnitt bei rund der Hälfte der Belastung des Eigenpersonals, 1990: 78,3% und eine vergleichbare mittlere Strahlendosis im Verhältnis zum Eigenpersonal, 2000: 84,7% und bereits das anderthalbfache der mittleren persönlichen Strahlendosis im Vergleich mit dem Eigenpersonal.

Zwar sinkt nach der Erfassung der Bundesregierung die persönliche Gesamtjahresdosis sowohl bei Eigen- als auch bei Fremdpersonal, allerdings übernehmen Fremdbeschäftigte aufgrund der Entwicklung des Verhältnisses der Dosen zum Eigenpersonal offensichtlich zunehmend die besonders strahlenexponierten Arbeiten in vom Eigenpersonal in den AKWs.

Unglaublich viele Strahlenpässe im Umlauf:

Die Anzahl der Strahlenpässe bewegt sich seit Ende der 1980er Jahre auf einem unglaublich hohen Niveau: Bis zu 85.000 Tausend Beschäftigte (Höhepunkt 1992) sind Inhaber eines gültigen Strahlenpasses. Aktuell sind es 67.168 Beschäftigte (2009), deren Zahl seit 2005 von 62.784 wieder stetig ansteigt. Die Bundesregierung ist nicht imstande, die Schwankungen der Anzahl der Strahlenschutzpassinhaber seit 1993 zu erklären.

Hohe Anzahl von internationalen Beschäftigten:

Die Bundesregierung bekennt, dass das Fremdpersonal in deutschen Atomkraftwerken „meist international“ arbeiten. Die Bundesregierung gibt aber keine Auskunft über die genaue Anzahl der internationalen Beschäftigten unter den Fremdbeschäftigten. Es sei nur der Erstwohnsitz, nicht die Nationalität der Beschäftigten bekannt (Frage 3).

Internationale Kontrolle von Strahlenpässen unmöglich:

Die lückenlose Dokumentation von Strahlenpässen ist innerhalb der EU und geschweige denn weltweit ist nicht möglich. Die Bundesregierung antwortet, „Anerkennungen von Strahlenpässen aus anderen EU-Ländern bzw. anderen Staaten sind möglich, soweit diese mit dem deutschen Strahlenpass vergleichbar sind (Frage 4).

Im Klartext bedeutet dies: Die Beschäftigten in deutschen Atomkraftwerken können um ein Leichtes die deutschen, wie internationalen Strahlenhöchstdosen überschreiten, um in zahlreichen Ländern auf verschiedenen Strahlenpässen zu arbeiten.

Beschäftigte, die sich diesem Gesundheitsrisiko bewusst oder unbewusst aussetzen, können nicht geschützt werden. Auch unter Arbeitsschutzgesichtspunkten ist dieser Zustand skandalös, da es faktisch bedeutet, das Beschäftigte, dem Missbrauch durch ihre Arbeitgeber ausgeliefert sind.

Die Bundesregierung kann nicht sicherstellen, dass Menschen nicht über den empfohlenen Maximalwert hinaus Strahlung ausgesetzt werden, da sie sich bei der Überwachung der Strahlenexpositionen von Menschen, denen sie außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Strahlenschutzverordnung ausgesetzt waren, lediglich auf die Strahlenschutzverordnung beruft (Frage 7), aber keine konkreten Initiativen oder Kontrollmechanismen angibt.

Sie räumt ein, dass die derzeitige Strahlenpassregelungen nicht ausreichend sind, die zur effektiven Kontrolle notwendigen einheitlichen EU-Strahlenpässe sind aber noch in weiter Ferne.

Jutta Krellmann, Sprecherin für Arbeit und Mitbestimmung der Fraktion DIE LINKE, erklärt hierzu:

„Die Überprüfungslücke bei den Strahlenpässen muss sofort geschlossen werden. Es ist nicht hinnehmbar, das Fremdbeschäftigte die in deutschen Atomkraftwerken arbeiten durch zuvor international getätigte Einsätze bereits unkontrollierbar vieler Strahlung ausgesetzt wurden. Die Gesundheit der Beschäftigten muss geschützt werden. Atomare Strahlung, das weiß jedes Kind, ist lebensgefährlich. Es ist unvorstellbar, wie lax hier vorgegangen wird. Die Nuklear-Nomaden, wie sie in Frankreich heißen, werden nicht nur im Lohn im Verhältnis zu den Stammbeschäftigten betrogen, sie sind auch potentiell unkontrolliert atomarer Strahlung ausgesetzt."

Dorothée Menzner, Energiepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE erklärt hierzu:

„Die Antwort auf die Fragen lassen durch den zunehmenden Einsatz von Fremdpersonal eklatante Sicherheitsbedenken aufkommen. Es ist unbegreiflich, dass in atomaren Anlagen immer weniger Fachpersonal als Eigenpersonal tätig ist. Gerade die sensible Anlagentechnik bedarf besonderer Erfahrung und einem stetigen Besatz mit Fachpersonal, das auf die Eigenheiten der jeweiligen Anlage spezialisiert ist.

Die dezidierten persönlichen Jahresdosen lassen darauf schließen, dass Fremdpersonal hauptsächlich und zunehmend mit den besonders strahlenexponierten Aufgaben betraut ist. Sie sind im Schnitt wesentlich höheren Strahlendosen ausgesetzt als das Eigenpersonal und deshalb offensichtlich mit den am meisten sicherheitsrelevanten Aufgaben betraut. Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar. Der Betrieb atomarer Anlagen muss auch für die wenigen verbleibenden Jahre mit konkreten Vorschriften an die AKW-Betreiber verbunden werden, die ihnen vorschreibt, sich Stammpersonal anzuschaffen, dass alleinig für alle sicherheitsrelevanten Bereiche eingesetzt wird. Lohndumping im AKW ist nicht hinnehmbar und verschlechtert die Anlagensicherheit rapide.“