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Steuervermeidung tötet

Nachricht,

Veranstaltungsbericht: Steuerflucht internationaler Konzerne und die Folgen für Entwicklungsländer



Sahra Wagenknecht: "Die allerteuersten Flüchtlinge sind Steuerflüchtlinge." 

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Von Birgit Bock-Luna

Internationale Konzerne hinterziehen pro Jahr 100 – 190 Milliarden Euro an Steuern durch Steuervermeidung und illegale Praktiken, die den Entwicklungsländern für dringend benötigte Gesundheitssysteme und Bildung verloren gehen. Am 28. Januar 2016 diskutierten Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, und Niema Movassat, Obmann im Entwicklungsausschuss, mit drei weiteren Expert/innen und über 100 Besucherinnen und Besuchern in Berlin-Kreuzberg kontrovers über das Thema.

Eindringlich beschrieb die Fraktionsvorsitzende der LINKEN die verschiedenen Methoden von Steuerflucht sowie die Komplizenschaft einer interessengeleiteten Politik und konstatierte: "Die allerteuersten Flüchtlinge sind Steuerflüchtlinge." Die reiche Oberschicht hinterziehe Steuern in Höhe von 14 Milliarden Euro im Jahr, davon könnten vier Millionen Kinder ein Jahr lang zur Schule gehen. "Sich vor den Steuern zu drücken, kostet Menschenleben. Die Steuervermeidungsindustrie tötet."

Anders sah dies Michael Sell, Leiter der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums. "Steuerhinterziehung ist kein Thema der deutschen Industrie, sondern die Folge verschiedener Steuerregime in Europa und weltweit." Er hob die Bemühungen seines Finanzministers hervor, mit Zinsschranken und dem BEPS(Base Erosion und Profit Shift)-Projekt in der OECD einen Prozess in Gang gebracht zu haben, der in den vergangenen drei Jahren zu mehr Fortschritt, Transparenz und einer einheitlichen Steuerregelung in Europa beigetragen habe als in den dreißig Jahren zuvor.

Der Leiter der Abteilung Steuern und Finanzpolitik des BDI, Berthold Welling, lehnte das am selben Tag von der EU-Kommission vorgeschlagene Gesetzespaket zum Schließen von Steuerschlupflöchern ab und monierte, auch das Publikum wolle bestimmt nicht alle seine Daten offenlegen, sondern fordere Datenschutz ein. Er ist, wie Michael Sell, überzeugt, dass deutsche Unternehmen bereits hohe Steuern zahlen und keine Steuerflucht in großem Maße begehen.

Dem widersprach Markus Henn von WEED (Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung). Er forderte öffentliche Berichtspflicht statt freiwilliger Empfehlungen und insistierte, dass auch deutsche Dax-Konzerne wie SAP Töchter in Irland haben und die OECD mit den Steuerreformen nur das alte System erhalten wollten. Notwendig wäre gewesen, auf die Forderungen der ärmeren Länder der G77 im vergangenen Jahr beim Gipfel für Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba einzugehen und zumindest zu prüfen, eine Steuerbehörde unter dem Dach der UN einzurichten, wie auch vom Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz empfohlen.

Niema Movassat stellte am Beispiel von Nigeria dar, wie stark fehlende Steuersysteme und Steuerflucht von Konzernen in afrikanischen Ländern die Ungleichheit vergrößern und die Armut zementieren: In dem Land, in dem auch französische und britische Firmen an der Rohstoffausbeutung beteiligt sind, zahlen 75 Prozent der multinationalen Unternehmen gar keine Steuern! Ein einfacher Fischhändler aber muss alle vier Tage Steuern auf seinen Marktstand, seinen Umsatz und sogar sein Transportmittel, das Moped, zahlen, so dass er Schwierigkeiten hat, seine Familie über Wasser zu halten. Während 140 Milliarden Dollar weltweit in Form von Entwicklungshilfe gezahlt wird, wird eine Summe von circa 100-190 Milliarden Dollar an Steuern hinterzogen. Die Freihandelsabkommen EPA (Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit westafrikanischen Ländern) verstärken noch den Wettbewerb nach niedrigeren Steuern und Zöllen.

In der Diskussion unterstrich Michael Sell, dass Finanzminister Schäuble sich sehr bemühe, auf europäische Regeln zu pochen und beispielsweise ein Unterstützer der Finanztransaktionssteuer sei.  Im Publikum regen sich allerdings kritische Stimmen zu den angeblich so "sauberen deutschen Unternehmen". Ist Deutschland innerhalb der EU nicht ebenfalls eine Steueroase? Und war da nicht gerade der VW-Skandal?
 

linksfraktion.de, 29. Januar 2016