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Foto: istock.com/shapecharge

Sterblichkeit an Sepsis in Deutschland unvertretbar hoch

Nachricht von Pia Zimmermann,

Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 95.000 Menschen an einer sogenannten Blutvergiftung. Bei aktuell knapp über 300.000 Fällen endet damit etwa jede dritte Sepsis tödlich, wie aus einer Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion „Sepsis – Bedeutung, Erkennung, Behandlung und mögliche politische Handlungserfordernisse“ (Drs. 19/21651) hervorgeht. Dem Bericht zufolge liegt die Sterblichkeit bei Sepsis in Deutschland höher als in anderen Industriestaaten. 

Pia Zimmermann, Sprecherin für Pflegepolitik der Fraktion DIE LINKE, kommentiert die Ergebnisse:

„Die Weigerung des Bundesministeriums für Gesundheit, erste einfache Schritte zur Senkung der Sepsis-Sterblichkeit einzuleiten, ist nicht nachzuvollziehen. Andere Länder wie Australien, die USA und England können das. Warum verweigert sich die Bundesregierung? Fest steht: Herr Spahn bricht seine im Amtseid eingegangene Verpflichtung, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden.“


Ausgangslage

Sepsis („Blutvergiftung“) ist eine sehr heftige Reaktion auf eine Infektion, bei der das Immunsystem den eigenen Körper schädigt. In Deutschland sind davon ca. 300.000 Patientinnen und Patienten pro Jahr betroffen. Mit 75-90.000 Toten ist sie in Deutschland die dritthäufigste Todesursache. Sepsis „ist die Nummer eins der vermeidbaren Todesursachen im Krankenhaus und gilt deshalb als Maßstab für die Qualität eines Gesundheitssystems.“ Expertinnen und Experten bezeichnen die Sterblichkeit an Sepsis in Deutschland als „unvertretbar hoch“ (F 11). Schätzungen gehen davon aus, „dass pro Jahr ca. 15.000-20.000 Sepsis-Todesfälle durch einfache Maßnahmen verhindert werden können“ (S. 7). Die Wahrscheinlichkeit des Überlebens hängt in Deutschland zudem davon ab, „in welches Krankenhaus man kommt“ (F. 12).

Die Situation in Deutschland bezüglich der Mängel beim Umgang mit Sepsis ist stichpunktartig hier dargestellt (F 15) – etwa beteiligen sich nur 5% der Krankenhäuser am Qualitätsbündnis Sepsis. Umfangreiche weitere Informationen vom Aktionsbündnis Patientensicherheit (steht unter der Schirmherrschaft von Jens Spahn) hier.

In den letzten Jahren haben drei bedeutende Institutionen das BMG zum Handeln aufgefordert:
1.    Das BMG hat bei der WHO eine Resolution zur Sepsis mitinitiiert. Diese wurde 2017 beschlossen. Die Mitgliedstaaten werden darin „dringend aufgefordert, bis 2020 Maßnahmen und nationale Aktionspläne umzusetzen“ (S. 6).
2.    Einen solchen hatten, zusammen mit Handlungsvorschlägen, bereits 2013 diverse Fachgesellschaften und Expertinnen und Experten im Rahmen eines „Nationalen Sepsisplan“ für Deutschland unterbreitet und 2017 aktualisiert.
3.    2018 hat die Gesundheitsminister-Konferenz einstimmig festgestellt, dass es zur „Umsetzung der Kernforderungen der WHO-Sepsis-Resolution eines konzertierten Vorgehens auf nationaler Ebene bedarf“; das BMG wurde „gebeten, eine Ad hoc-Expertengruppe am Robert Koch-Institut“ (RKI) zur Umsetzung der Maßnahmen einzurichten. 

Antworten der Bundesregierung

Den letztverfügbaren Zahlen zufolge gibt es im Krankenhaus mindestens gut 300.000 Sepsisfälle pro Jahr (135.567 mit Sepsis als Hauptdiagnose, 164.656 als Nebendiagnose). Über 94.000 davon endeten tödlich, das sind mindestens 31% (A 9; Details siehe Anlage 1). Wie viele zusätzlich außerhalb des Krankenhauses an Sepsis versterben, ist nicht bekannt (A 10).

Weltweit und damit auch in Deutschland wird die Sepsis zunehmen, u. a. wg. der steigenden Anzahl älterer Menschen und PatientInnen (Vorbemerkung der Bundesregierung (V. d. Br.). Die Bundesregierung bestätigt zudem ausdrücklich, dass die Sepsissterblichkeit in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern hoch ist (A 14 & V. d. Br.).

Angesichts dessen hat sich die Bundesregierung bislang per RKI an „verschiedenen Studien der WHO zu Sepsis beteiligt“ (A 19); zudem leistet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) einen Beitrag zur „Verbreitung und Verwendung des Fachbegriffs ‚Sepsis‘“, indem dieser „seit dem Jahr 2017 in Informationsmedien […] benannt wird“ (ebd.).

Des Weiteren fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung „in den letzten 10 Jahren [… mit] verschiedenen Maßnahmen […] mit einem Gesamtbudget von rund 125 Mio. Euro“ Forschung zum Thema Sepsis (A 24). Ergänzend wird das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) im Auftrag der Patientenvertretung innerhalb des Selbstverwaltungsgremiums Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) ein Qualitätssicherungsverfahren „Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Sepsis“ erstellen; Ergebnisse sollen 2022 bzw. 2023 vorliegen (A 30).

Die Bundesregierung bestätigt ausdrücklich, dass fehlendes Wissen zu Verzögerungen in der Diagnosestellung und Therapie beitragen kann (A 20). Dennoch wurde „eine spezielle Kampagne zur Aufklärung der Bevölkerung […] seitens der BZgA bislang nicht durchgeführt“ (A 21). Aber eine Infografik wurde entwickelt (ebd.).

Vor allem aber weigert sich die Bundesregierung zur Umsetzung von drei an sie gerichteten Forderungen:

  1. Zwar hat die Bundesregierung bei der WHO/World Health Assembly (WHA) als Mitinitiatorin zu einer 2017 verabschiedeten Resolution zu Sepsis beigetragen (V. d. Br.). Von den in dieser Resolution vorgeschlagenen Maßnahmen (s. oben unter Ausgangslage) wird die aktuelle Bundesregierung aber ausdrücklich nichts umsetzen (A 31).
  2. Gleiches gilt für die 2013 von ausgewiesenen Sepsis-ExpertInnen und Fachgesellschaften erhobenen und 2017 aktualisierten Forderungen, in Deutschland bestehende Defizite bei der Erkennung und Behandlung von Sepsis durch Initiierung eines Nationalen Sepsisplans konzertiert und koordiniert zu identifizieren und bereinigen (A 2).
  3. Die einstimmige Forderung der Gesundheitsminister-Konferenz (GMK) der Länder 2018 nach Umsetzung der „WHO-Sepsis-Resolution“ durch ein „konzertiertes Vorgehen auf nationaler Ebene“ und der Einrichtung „einer Ad hoc-Expertengruppe am Robert Koch-Institut“ lehnt die Bundesregierung ebenfalls ab (A 1).


Ergebnisse im Einzelnen: Antwort der Bundesregierung und Auswertung (PDFs)