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»Staatshilfen nur bei Verzicht auf Stellenabbau und Lohnkürzungen«

Interview der Woche von Sevim Dagdelen, Herbert Schui,

Sevim Dağdelen, vor etwas mehr als einem Jahr gab Nokia die geplante Schließung seines Werks in Bochum bekannt. Letzte Woche war die Schließung des Opel-Standorts im Gespräch. Wie ist die Stimmung in Ihrem Wahlkreis?

Sevim Dağdelen: Die Menschen in Bochum sind sehr besorgt und haben Angst um ihre Zukunft. Aber auch Wut haben sie. Wut über die Politik, die im Falle von Opel nicht dieselbe Rettungsbereitschaft unter Beweis stellt wie für die Banken. Die Opelaner selbst sagen: »Das Bochumer Werk wird nicht geschlossen!«. 2004 stand das Werk Opel Bochum schon einmal in Frage. Der erfolgreiche Kampf der Belegschaft, unterstützt von der Bevölkerung, hat dies verhindert. Auch jetzt gibt es in Bochum uneingeschränkte Solidarität mit den Opelanern.

Um wie viele Arbeitsplätze geht es, in Bochum und bundesweit? Beinhalten die genannten Zahlen auch Zulieferer?

Sevim Dağdelen: Im Bochumer Werk sind über 5300 Arbeitsplätze gefährdet. Bundesweit geht es um über 25.000 Opelaner. Um mindestens genauso viele Arbeitsplätze geht es in der Zulieferer-Industrie. Wenn man sich die Familien vor Augen führt sind es mehrere Zehntausende Menschen, die betroffen sind. In Bochum ist es die ganze Stadt.

Herbert Schui, General Motors, der Mutter-Konzern, hat die Schließung des Werks erst einmal wieder von der Tagesordnung genommen, aber die Unsicherheit bleibt. Was muss getan werden, um die Arbeitsplätze zu sichern?

Herbert Schui: Das neue Unternehmen muss eigenständig sein, mit der Belegschaft und dem Staat als Anteilseignern. Da effiziente Produktion hohe Stückzahlen erfordert, sollte eine Kooperation mit anderen Herstellern gesucht werden. Hierfür bieten sich andere, vor allem europäische Marken von GM und Hersteller mit Staatsbeteiligung wie VW an. Die gemeinsame Forschung und Entwicklung von Treibstoff sparenden Modellen wird zum Schwerpunkt der Kooperation.

Warum ist gerade die Automobilindustrie von der Krise so hart betroffen?

Herbert Schui: In der Automobilindustrie sind große Überkapazitäten aufgebaut worden, weil die Arbeitsproduktivität enorm gestiegen ist und die Konzerne sehr gut verdient haben. Jeder Hersteller hat darauf gesetzt, seinen Marktanteil zu erhöhen, was nicht für alle aufgehen kann. Viele Hersteller haben die Entwicklung kraftstoffsparender Autos verschlafen. Weil die Löhne stagnieren und die Benzinpreise stiegen, wollen die Leute keine Spritschlucker mehr. Im Abschwung schieben Privatkunden und Firmen ausserdem den Kauf von Neuwagen auf die lange Bank.

Sevim Dağdelen, Sie sind auch migrations- und integrationspolitische Sprecherin der Fraktion. Wie wirkt sich die Finanzkrise auf die Situation von Migranten und Migrantinnen aus?

Sevim Dağdelen: Für Migrantinnen und Migranten schlägt die Krise nochmal stärker zu. Aufgrund ihrer schlechten Erwerbsbiographien arbeiten sie überdurchschnittlich in der Industrie und im Niedriglohnbereich. Der Stellenabbau in der Leiharbeit und Zeitarbeit und die vorzeitige Beendigung von befristeten Arbeitsverhältnissen hat bereits in den letzten Monaten zum Jobverlust bei Tausenden Migrantinnen und Migranten geführt. Eine Deindustrialisierung wird ihre Verdrängung vom Arbeitsmarkt weiter befördern. Das wirkt sich zunehmend desintegrativ aus.

Opel hat letzte Woche staatliche Kreditgarantien in Milliardenhöhe beantragt. Was fordert DIE LINKE?

Herbert Schui: Staatshilfen an Autokonzerne darf es nur geben, wenn die Unternehmen auf Stellenabbau im In- und Ausland, Lohnkürzungen und Dividendenzahlungen verzichten. Die Politik und die Belegschaften müssen dann die Geschäftspolitik bestimmen. Das fordert nur DIE LINKE. Alle anderen Parteien wollen die Entscheidungsmacht bei der Kapitalseite belassen.

www.linksfraktion.de, 23. Februar 2009