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Foto: ddp | United Archives

SPD hält unbeirrt an Hindenburg fest und lügt ihn zum Demokraten um

Im Wortlaut von Jan Korte,

Eine Kaserne der Bundeswehr im niedersächsischen Munster trägt noch immer den Namen des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Eine Umbenennung fordert nicht nur die Linksfraktion, sondern auch viele Historiker seit langem. Munster ist, gemessen an der Zahl der Soldaten, der größte Heeresstandort der Bundeswehr. Von dort stammten allerdings auch jene Soldaten, die nach Berichten über Rechtsextremismus und Antisemitismus im Juni 2021 aus Litauen abgezogen werden mussten. Die Bundesregierung jedoch verteidigt weiter die Namensgebung in ihrer Antwort auf eine Anfrage von Jan Korte, über die die taz berichtet. 

Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion DIE LINKE, ordnet ein:

Kürzlich habe ich die Bundesregierung gefragt, ob sie nach wie vor Paul von Hindenburg für die Bundeswehr als traditionsstiftend erachtet und wenn nein, ob sie Maßnahmen ergreifen wird, damit die Hindenburg-Kaserne in Munster umbenannt wird. Die Antwort von Siemtje Möller, der sozialdemokratischen Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium, macht einen fassungslos.

Allen Ernstes begründet Möller Hindenburgs auch heute noch für Bundesregierung und Bundeswehr geltende Sinnstiftung mit seiner „Amtsführung als direkt gewähltes Staatsoberhaupt der ersten deutschen parlamentarischen Demokratie und sein auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung ausgerichtetes Handeln.“

Auf seine Rolle als Leiter der III. Obersten Heeresleitung von 1916 bis 1918, als Hindenburg de facto einer Militärdiktatur vorstand und dabei u. a. den verbrecherischen uneingeschränkten U-Boot-Krieg mitverantwortete, geht sie mit keinem Wort ein.

Aber der unhistorische Unsinn, den das Verteidigungsministerium vom Stapel lässt, wird noch doller. Zum Verhältnis Hindenburgs zu Hitler und der NSDAP wird behauptet: „Die Rolle des hochbetagten Hindenburgs bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 ist in der Geschichtswissenschaft umstritten. Gesichert ist jedoch, dass er Hitler persönlich ablehnte und lange Zeit versuchte, die Nationalsozialisten trotz anderslautendem Wählervotums von einer Regierungsbeteiligung oder Regierungsübernahme fernzuhalten.“

Was stimmt bei der SPD nicht?

Warum hält sie unbeirrt an Hindenburg, einem der maßgeblichen Totengräber der Weimarer Republik, fest? Wieso um Himmels Willen überlässt die Sozialdemokratie die Geschichtsklitterung und Hindenburgverehrung nicht den Rechten und Ewiggestrigen? Dass die reaktionärsten Teile unserer Gesellschaft weiter an ihrem „Helden von Tannenberg“ und „Befreier Ostpreußens“ festhalten wollen, ist nachvollziehbar. Wenn aber ausgerechnet eine sozialdemokratische Staatssekretärin Hindenburg quasi zum Demokraten und Antifaschisten verklärt, läuft im Bundesverteidigungsministerium einiges schief. Vielleicht rächt sich jetzt, dass die SPD 2018 ihre Historische Kommission abgeschafft hatte. Klar ist: Paul von Hindenburg kann aus demokratischer Sicht in keiner Weise traditions- oder sinnstiftend sein. Weder seine Rolle im Ersten Weltkrieg noch danach in der Weimarer Republik, deren erbitterter Gegner er war, rechtfertigen, dass Straßen oder Plätze nach ihm benannt sind. Und erst recht keine Kaserne oder andere Liegenschaften der Bundeswehr.

Noch einmal zur Erinnerung: Hindenburg stand seit August 1916 als Leiter der III. Obersten Heeresleitung einer Militärdiktatur vor und war dabei verantwortlich für den verbrecherischen U-Boot-Krieg und die totale Mobilmachung von Wirtschaft und Gesellschaft zugunsten einer radikalen Siegfriedenspolitik. Nach 1918 begründete er die "Dolchstoßlegende" und fungierte für monarchistische, rechtsnationale und erzkonservative Kreise als "Ersatz-Kaiser". Im Bündnis von Nationalkonservativen und NS-Bewegung war er einer der wichtigsten Steigbügelhalter der Nationalsozialisten. In seiner Funktion als Reichspräsident ernannte er 1933 nicht nur Hitler zum Reichskanzler, sondern ermöglichte insbesondere durch die Auflösung des Reichstages und anschließende Unterzeichnung von Notverordnungen, mit denen die Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt und die Grundrechte aufgehoben wurden, die terroristische Etablierung der faschistischen Herrschaft.

All das ist lange bekannt und wissenschaftlich unstrittig. Und auch das der Bundeswehr unterstellte und einer kritischen Geschichtsauffassung völllig unverdächtige Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) kam bereits in seinem Gutachten vom 12. Dezember 2012 zu einer klaren Einschätzung bezüglich Hindenburg:

„In der wissenschaftlichen Forschung - zahlreiche Biografien liegen vor - ist nicht bekannt, dass sich Paul von Hindenburg durch sein gesamtes Wirken oder durch eine herausragende Einzeltat um Freiheit und Recht im Sinne der heutigen Traditionsrichtlinien verdient gemacht hat.“ Und weiter:

„Hindenburg stand seit 1932 dem Nationalsozialismus aus machtpolitischen Gründen wohlwollend gegenüber. Mit seiner Person verbindet sich die Allianz zwischen Nationalkonservativen und Nationalsozialisten, die die 'Hitler-Bewegung' vor allem durch den 'Tag von Potsdam' für die breite Mehrheit konsensfähig machte.“

Als Hitlers Wehrmacht 1937/38 nicht nur militärisch massiv aufrüstete, sondern auch ideologisch für die künftigen Angriffs- und Vernichtungskriege fit gemacht wurde, benannten die Nazis im Rahmen einer Traditionsoffensive die neu erbauten Kasernen in den Standorten Ansbach, Augsburg, Frankfurt (Oder), Kassel, Munsterlager, Naumburg (Saale), Neumünster, Oldenburg, Reutlingen, Tübingen und Ulm (Donau) allesamt nach Hindenburg. Während nach 1945 die HIndenburg-Kasernen in der DDR selbstverständlich umbenannt wurden, behielten sie in der BRD ihre Namen. Erst nach Jahrzehnten und zahlreichen Protesten änderte sich dies nach und nach. Heute wird der während des Faschismus und der frühen Bundesrepublik sinnstiftende und identitätsbildende Hindenburgkult in der Bundeswehr nur noch in der Hindenburg-Kaserne in Munster gepflegt.

Bereits 2014, also vor neun (!) Jahren, antwortete die Bundesregierung auf eine entsprechende Kleine Anfrage der LINKEN zu „Namenspatronen von Bundeswehrkasernen aus dem Ersten Weltkrieg“ Folgendes:

„Die Meinungsbildung zur Namensgebung der Hindenburg-Kaserne in Munster hat ergeben, dass eine Änderung des Kasernennamens in absehbarer Zeit erneut betrachtet werden soll. Eine konkrete Entscheidung in dieser Sache wird nach Einnahme der Zielstruktur am Standort Munster durch den Hauptnutzer der Liegenschaft, die Panzerlehrbrigade 9, getroffen.“

Es war zwar schon damals peinlich und bezeichnend, dass sich die politisch Verantwortlichen und die Bundeswehrführung, trotz eindeutigem historischen Befund ihrer eigenen Militärhistoriker, hinter den dort stationierten Soldaten versteckte, anstatt sich endlich vom undemokratischen und reaktionären Erbe Hindenburgs zu befreien. Skandalös wird das Ganze aber, weil sich auch bis heute und trotz des 2018 reformierten und verschärften Traditionserlass der Bundeswehr absolut nichts getan hat. Angesichts der politischen Bewertung von Hindenburg durch die Bundesregierung ist dies allerdings nicht weiter verwunderlich.

Die Kaserne in Munster muss endlich umbenannt werden. Es wird Zeit, dass die Bundesregierung ihre Traditionserlasse selbst ernst nimmt.