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"Sozialismus ist kein Kampfbegriff"

Im Wortlaut von Dagmar Enkelmann,

Dagmar Enkelmann, Vize-Chefin der Linkspartei, über Visionen und den Umgang mit der SPD

Lothar Bisky hat gerade offen eingeräumt, dass es ein Fehler war, ihn für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten zu nominieren. Stimmen Sie zu?

Da stimme ich überhaupt nicht zu. Wir hatten gute Gründe, ihn zu benennen. Nicht nur, weil er eine gestandene Person ist, sondern weil er jemand ist, der sehr gut kommunizieren kann. Das hat er als Vizepräsident des Brandenburger Landtages sehr deutlich bewiesen.

Nun ist der Posten seit Wochen unbesetzt. Wie lange wollen Sie das Spielchen fortsetzen?

Ich gehe davon aus, dass wir den Platz nicht auf ewig frei lassen werden. Ich denke, wir werden uns im Frühjahr Gedanken machen, wen wir vorschlagen.

Gesine Lötzsch und Luc Jochimsen sind bereits genannt worden.

Die beiden wären aus meiner Sicht geeignet. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass eine Frau kandidiert.

Was lässt Sie denn glauben, dass Ihre Kandidatin beim nächsten Mal durchkommt?

Es hat sich durchaus schon etwas geändert im Umgang mit uns. Den Posten im Parlamentarischen Kontrollgremium hat man uns immerhin nicht streitig gemacht. Das zeigt: Man sperrt sich nicht mehr generell dagegen, dass wir dabei sind. Auch wenn einige aus den anderen Fraktionen immer noch mit ihrem Schicksal hadern.

Können Sie in Ihrer Fraktion eigentlich noch unterscheiden, wer von der Wahlalternative kommt und wer aus der Linkspartei?

Nein. In der Fraktion werden keine Differenzen zwischen beiden Parteien ausgetragen.

Woanders schon. Ist es nicht merkwürdig, einerseits im Bundestag auf engstem Raum zusammen zu hocken und andererseits zu sehen, wie in derselben Stadt - Berlin - das gesamte Projekt auseinander fällt?

Ich hoffe nicht, dass es auseinander fällt. Ich hoffe, dass sich Wahlalternative und Linkspartei in Berlin noch einigen können.

Danach sieht es im Moment nicht aus. Inzwischen will der Landesvorstand nicht mal mehr mit den Leuten von der Wahlalternative reden, nur noch mit deren Bundesvorstand.

Das halte ich für nicht besonders glücklich. Man muss miteinander reden. Ich würde ungern den Weg gehen - der häufiger im Gespräch war -, mit Ausschluss oder ähnlichem zu drohen. Das ist die allerletzte Lösung.

Der Spagat ist doch im Grunde nicht durchzuhalten: In Bundestag Radikalopposition gegen die SPD zu betreiben und auf Länderebene mit genau dieser SPD zu regieren.

Den Spagat müssen andere ja auch aushalten.

Was ist an der SPD in Mecklenburg-Vorpommern besser als an der im Bund?

Dass sie zum Beispiel solche Wege mitgeht wie den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Dass die Sozialdemokraten in Mecklenburg-Vorpommern sagen, es gibt andere Ansätze für aktive Beschäftigungspolitik, während die im Bund nur abwinken: So ein Quatsch!

Man hat den Eindruck, dass die Linkspartei dabei ist, denselben Weg einzuschlagen wie die Grünen: Sich so oft zu häuten, bis mehr als nur die äußere Hülle auf der Strecke bleibt.

Ich hoffe sehr, dass wir das verhindern können. Das Zusammengehen mit der Wahlalternative bietet durchaus Chancen.

Aber auch Risiken. Nehmen wir allein den Begriff Sozialismus. Da gibt es bei Ihnen welche, die sagen: Wenn die WASG diesen Kampfbegriff nicht will, dann müssen wir halt übers Stöckchen springen. Ist das nicht schon der Anfang eines Sich-Verbiegens?

Naja, von einem Kampfbegriff würde ich nicht sprechen. Ich würde eher von einer Vision für gesellschaftliche Veränderung sprechen. Mein Eindruck ist bislang nicht, dass diese Vision vom wem auch immer in Frage gestellt wird.

Teilen Sie die Einschätzung Ihres Ehrenvorsitzenden Hans Modrow, dass nur für eine sozialistische Partei Platz in der Gesellschaft ist?

Eine zweite sozialdemokratische Partei braucht jedenfalls niemand. Da muss schon etwas Anderes kommen. Etwas, das über den Rahmen dieser Gesellschaft hinaus weist. Dafür ist Platz. Und ich glaube, der wird immer größer.

Interview: Jörg Schindler

Frankfurter Rundschau, 28. Dezember 2005