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Soziale Säule der EU-Kommission: Sozial ist, was den Märkten nutzt

Im Wortlaut von Alexander Ulrich,

Von Alexander Ulrich, Obmann der Fraktion DIE LINKE im EU-Ausschuss

Ende April hat die EU-Kommission ihr Paket zur sozialen Dimension Europas präsentiert. Bereits im Vorfeld hatte Präsident Juncker die so genannte soziale Säule zur Top-Priorität erklärt. Nach Jahren der Troika-Kürzungspolitik, der EuGH-Übergriffe gegen Arbeitnehmerrechte und der steuerfinanzierten Bankenrettungen durfte man gespannt sein, wie der Richtungswechsel hin zum sozialen Europa aussehen soll. Was steckt drin, in der Säule?

Zunächst listet die Kommission 20 wohlklingende Grundsätze zu Chancengleichheit, Arbeitsbedingungen und Sozialschutz auf. Dabei handelt es sich jedoch bloß um nutzlose Lippenbekenntnisse, da sie keinerlei Rechtsverbindlichkeit aufweisen und zudem so vage formuliert sind, dass jeder darunter verstehen kann, was er will.

Darüber hinaus enthält das Paket zwei Initiativen für konkrete Rechtsakte. Zum einen die Richtlinie zur Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Dabei handelt es sich im Kern um eine Umbenennung der längst geplanten Richtlinie zum Elternurlaub. Ein paar freie Tage extra für frisch gebackene Väter dürften rumkommen. Viel mehr nicht. Zum anderen die Richtlinie zur Nachweispflicht. Arbeitnehmer bekämen so das Recht auf eine schriftliche Auflistung der für sie geltenden Arbeitsbedingungen. Das ist nicht verkehrt, ändert aber an schlechten Arbeitsbedingungen erstmal wenig.

Hinzu kommt ein so genanntes Reflexionspapier. Enthalten sind drei Szenarien zur Weiterentwicklung der Europäischen Integration von denen keines den Weg in ein echtes soziales Europa aufzeigt, ein Europa also, das die Menschen vor den Härten des Marktes schützt. Interessanter als die Szenarien sind die Ausführungen zu den Faktoren des Wandels bis 2025. Hier führt die Kommission einen Begriff des Sozialen ein, der mit den Vorstellungen der meisten ihrer Bürger nur begrenzte Schnittmengen haben dürfte und der letztlich in jedem der Szenarien zum Tragen käme.

Zunächst ist von den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft die Rede. Das Ausmaß des demographischen Wandels maßlos übertrieben, während Produktivitätszuwächse und steigende Beschäftigungsquote sowie die damit einhergehende höhere Leistungsfähigkeit der Rentensysteme unterschlagen werden. So bleibt als einziger Lösungsansatz eine Erhöhung des Renteneintrittsalters.

Dann wird ein Arbeitskräftemangel konstruiert, der angesichts der heutigen Arbeitslosenquoten die Realität regelrecht verhöhnt. Die Lösung: Eine Erhöhung der Arbeitskräftemobilität, damit Arbeit und Arbeiter sich besser finden. Die Folgen sind bereits heute sichtbar: In den von der Krise gebeutelten Ländern fehlen durch Auswanderung die Fachkräfte, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, während in den stärkeren Regionen die Konkurrenz um die höher qualifizierten Jobs und damit auch der Druck auf die Löhne zunimmt.  

Weiter stellt die Kommission fest, dass Arbeitnehmer in Zukunft viel häufiger den Job wechseln müssen. Sie sieht darin „Möglichkeiten für Menschen […] freiberuflich oder gleichzeitig in mehreren Jobs zu arbeiten“, beschreibt aber nichts anderes, als immer mehr Leiharbeit, befristete Beschäftigung, Minijobs etc. Ihre Antworten auf diesen Wandel zielen allesamt nicht darauf ab, durch arbeitsrechtliche Verbesserungen den EU-Bürgern wieder mehr Sicherheit zu gewähren. Stattdessen soll die Sozialpolitik der Zukunft den Menschen helfen, flexibler zu werden und sich so besser den Bedürfnissen einer dynamischen Ökonomie unterordnen zu können.

Weitere Beispiele könnten ergänzt werden, das Gesamtbild bliebe das gleiche. Als soziales Europa konstruiert die Kommission eine Problemstellung und ein Lösungsangebot, in dem Sozialabbau zur Sozialpolitik verklärt wird. Schutz vor Marktaggressionen ist nicht zu erwarten. Bestenfalls können die Menschen darauf hoffen, besser auf ein Leben als Ware auf dem Arbeitsmarkt vorbereitet zu werden. Die Reflexionen der Kommission zielen letztlich darauf ab, das Konzept des Sozialen so umzugestalten, dass es der neoliberalen Integration nicht mehr im Wege steht.

Es ist daher umso wichtiger, dass die Gewerkschaften (ETUC, DGB etc.) in der Konsultation zur sozialen Säule nicht an Kritik sparten. Reiner Hoffmann, der DGB-Vorsitzende, hat vollkommen Recht, wenn er der Kommission vorwirft, mit dieser Vorlage ihre Chance auf mehr Glaubwürdigkeit regelrecht verspielt zu haben.