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Soziale Diskriminierung beenden – Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Gastkolumne

Von Sevim Dagdelen
 

 

 

Im Zuge der deutschen Vereinigung 1990 fand im nationalistischen Taumel eine Hetzkampagne von Politik und Leitmedien gegen einen angeblichen „Asylmissbrauch“ und gegen vermeintliche „Sozialschmarotzer“ sowie eine herbei halluzinierte „Asylantenflut“ statt. Die Folge waren 1992 pogromartige Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Ähnliche rassistische Angriffe hatte es bereits 1991 im sächsischen Hoyerswerda und im Mai 1992 in Mannheim in Baden Württemberg gegeben. Von 1990 bis 1992 verfünffachte sich die Zahl rechter Straftaten auf mehr als 7.000. Allein 1992 fielen mindestens 18 Menschen dem rassistischen Mob zum Opfer. Der Rassismus der Straße fand am 26.5.1993 seine gesetzliche Umsetzung, als sich CDU/CSU, FDP und SPD 1992 zum Erfüllungsgehilfen des rassistischen Mobs machten und den sog. Asylkompromiss beschlossen und damit praktisch das Recht auf Asyl abschafften. Drei Tage nach dem Beschluss starben fünf Menschen durch einen rassistisch motivierten Brandanschlag auf ihr Haus in Solingen. In diesem Zusammenhang steht das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) von 1993, mit dem die Leistungen für den Mindestunterhalt für Asylsuchende durch ein eigenständiges Gesetz deutlich abgesenkt wurden. Das Leistungsrecht wurde rassistisch instrumentalisiert, in dem ein gesondertes Existenzminimum nur für Asylsuchende geschaffen wurde. Es erfolgte eine willkürliche Regelsatzbestimmung nur mit Blick auf die Gruppe der Asylsuchenden, die später auf weitere Personengruppen (Geduldete, Menschen mit humanitärer Aufenthaltserlaubnis) übertragen wurde. Auch dabei wurde auf eine tatsachenbasierte Bedarfsermittlung oder Begründung komplett verzichtet. Gleiches gilt für die sukzessive Verlängerung der Frist, innerhalb der nur gekürzte Leistungen gewährt werden, von einem auf drei und schließlich auf vier Jahre (Grundleistungsbezug).

Mit dem AsylbLG wurde ein Existenzminimum zweiter Klasse geschaffen. Etwa 130.000 Menschen müssen in Deutschland mit lediglich 60 Prozent der Regelsätze für Hartz-IV auskommen, was häufig nur in Form entmündigender Lebensmittelpakete oder von Gutscheinen gewährt werden. Die Preissteigerungen von rund 30 Prozent seit 1993 fand in den Regelsätzen bis heute keine Berücksichtigung. Das Ziel war es schließlich Flüchtlinge davor abzuschrecken nach Deutschland kommen zu wollen. Deshalb sind die unzureichenden und in den letzten19 Jahren nicht erhöhten Regelsätze, das so genannte Sachleistungsprinzip, Einschränkungen der medizinischen Versorgung und die erzwungene Unterbringung in isolierenden und häufig unwürdigen Massenunterkünften bewusst unverändert geblieben. Nicht eine einzige minimale sozialrechtliche Verbesserung für Flüchtlinge gab es im Übrigen unter der SPD-Grünen Bundesregierung. Auch hier das Gegenteil: Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde im Jahr 2005 die Anwendung des AsylbLG sogar noch auf Personen mit einer humanitären Aufenthaltserlaubnis ausgeweitet. Einen Antrag der PDS aus dem Jahr 2000 zur Aufhebung des AsylbLG (14/3381) lehnten die GRÜNEN damals mit der besonders perfiden Begründung ab, wonach angeblich auch „Sachleistungen von hoher Qualität sein könnten“ (Beschlussempfehlung 14/4695, S. 3).

Am Weltflüchtlingstag, den 20. Juni 2012 fand die mündliche Verhandlung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) über die Vorlagen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen zur Frage statt, ob die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG verfassungsgemäß sind. Sollte das BVerfG zu dem Schluss kommen, dass die Höhe der Leistungen für Asylbewerber/innen evident unzureichend ist, wäre dies ein Grundrechtsverstoß. Entsprechende Änderungen wären dann zwangsläufig. Bereits mit dem HARTZ IV-Urteil des BVerfG vom Februar 2010 war völlig klar, dass das AsylbLG verfassungswidrig ist und die Regelsätze angehoben werden müssen. Doch der LINKEn geht es nicht nur um Anhebung sondern Gleichstellung. Unabhängig vom Urteil des BVerfG: das Asylbewerberleistungsgesetz muss weg! Es muss endlich gleiche soziale Rechte auch für die vom AsylbLG betroffenen Menschen geben!

unsere zeit, 29. Juni 2012