Jessica Tatti, Sprecherin der Linksfraktion für Arbeit 4.0, zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 1. Dezember
Das Bundesarbeitsgericht hat ein bedeutendes, möglicherweise bahnbrechendes Urteil zur Plattformarbeit verkündet: Das Gericht stellte fest, dass im verhandelten Fall eine abhängige Beschäftigung und keine Selbständigkeit bestand – es ging um Kleinstaufträge wie die Kontrolle von Warenpräsentationen im Einzelhandel und an Tankstellen durch das Abfotografieren der Waren. Es komme dabei nicht auf die Formulierung im Vertrag an, sondern ob die Gesamtschau der Tätigkeit ergebe, dass der Beschäftigte „in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit“ leiste (Pressemitteilung Nr. 43/29 zum Urteil des BAG vom 1. Dez. 2020, 9 AZR 102/20).
Das Urteil ist ein Erfolg für den Beschäftigten und die ihn unterstützende IG Metall-Initiative Fair-Crowd-Work, zu dem ich von Herzen gratuliere. Jetzt kommt es darauf an, dass auch die Bundesregierung endlich handelt und einen Gesetzentwurf vorlegt, um alle Plattformbeschäftigten vor Ausbeutung zu schützen.
Bei der Anhörung Ende November im Bundestag zu unseren Vorschlägen zu Guter Arbeit auf Plattformen wollte uns die Arbeitgeberlobby weis machen, dass Plattformbeschäftigte alle gerne selbständig und damit total glücklich wären. Ich finde, das ist einfach eine Masche, um sich vor der Verantwortung als Arbeitgeber zu drücken: Vor Mindest- und Tariflöhnen, vor Sozialversicherungsbeiträgen und anderen Arbeitgeberpflichten wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsansprüche.
So wichtig das Gerichtsurteil auch ist, gilt es nur für einen konkreten Einzelfall. Er zeigt auf, wie steinig und lang der Weg ist festzustellen, ob man nun Arbeitnehmer ist oder nicht. Das ist unzumutbar. Unzumutbar für die Beschäftigten und die Plattformbetreiber. Deswegen muss die Politik jetzt handeln und mit Hilfe des Urteils und des Wissens von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis klare und einfache Regeln schaffen. Dazu gehört die von der Plattform widerlegbare Grundannahme, dass es sich bei Tätigkeiten in der ortsgebundenen Plattformökonomie um abhängige Beschäftigung handelt. Dazu gehört, dass alle, die über Plattformen arbeiten, grundsätzlich in die gesetzlichen Sozialversicherungen aufgenommen werden. Dazu gehört, dass Solo-Selbständige auf Plattformen durch ein Mindestentgelt abgesichert werden. Plattformtätige mit niedrigen Einkommen müssen sich kollektiv für ihre Interessen einsetzen dürfen.
Minister Heil sollte kluge Dinge nicht nur in Presse und Eckpunktpapieren sagen, sondern handeln – und dem Parlament endlich einen Gesetzentwurf vorlegen, der einen klaren Rahmen für die Zukunft der Plattformarbeit gibt. Mit sozialer Sicherheit, kollektiver Mitbestimmung und anständiger Entlohnung können Plattformen attraktive Arbeitsplätze schaffen.