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»Sie wäre eine großartige Bundespräsidentin«

Im Wortlaut von Gesine Lötzsch,

Gesine Lötzsch, Mitglied der Fraktion und Vorsitzende der Partei DIE LINKE, leitet deren Delegation in der 15. Bundesversammlung am 18. März 2012. Im Interview spricht sie über ihre Eindrücke von Beate Klarsfeld in den zurückliegenden Wochen und sagt, was sie vom neuen Staatsoberhaupt erwartet.
 


Rechnen Sie am Sonntag mit einer glatten Entscheidung? Oder wird die Gauck-Koalition wie 2010 bei Wulff drei nervenaufreibende Wahlgänge lang zittern müssen?

Gesine Lötzsch: Ich schließe bei dieser chaotischen Fünf-Parteien-Koalition gar nichts mehr aus.

Sie haben in den zurückliegenden Wochen viele Termine gemeinsam mit Beate Klarsfeld wahrgenommen. Wie haben die Bürgerinnen und Bürger auf Frau Klarsfeld reagiert?

Es waren alles sehr herzliche Begegnungen. Beate Klarsfeld traf sich mit Frauen zum Frauentag, die sie mit Beifall und Umarmungen begrüßten. Sie überreichte Esther Bejerano den Clara-Zetkin-Preis der Partei DIE LINKE und wurde von den Gästen selbst wie eine Preisträgerin begrüßt. Die Initiative "Dresden nazifrei" war vom Besuch unserer Kandidatin sehr angetan, und die Bürgerinnen und Bürger waren - im Gegensatz zu einigen Springer-Journalisten - an dem gesamten Lebenslauf von Beate Klarsfeld interessiert.

Wie würde Frau Klarsfeld als Bundespräsidentin auftreten?

Sie wäre ein großartige Bundespräsidentin. Jeder Bundespräsident ist mit einem Thema verbunden. Richard von Weizsäcker mit seiner Rede zum Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus. Horst Köhler mit seinem Engagement für Afrika. Beate Klarsfeld wäre die erste Bundespräsidentin, die mit dem Thema Antifaschismus das Klima in unserem Land verändern könnte.

Was wird am Montag nach der Bundesversammlung von Beate Klarsfelds Kandidatur bleiben?

Eine sehr wichtige Auseinandersetzung über die Geschichte und die Gegenwart unseres Landes. Viele Jugendliche kannten Beate Klarsfeld gar nicht. Das ist kein Schulstoff. Jetzt werden sie besser verstehen, dass die NSU-Morde nur zu verstehen sind, wenn man die geschichtlichen Hintergründe besser kennt, wenn man weiß, dass es nicht um Geheimdienstpannen ging. Die Geheimdienste, CDU, CSU und FDP sind auf dem rechten Auge blind. Warum das so ist, haben viele Menschen in den letzten Wochen erfahren.

Für den 23. März ist die Eidesleistung des Bundespräsidenten vor Bundestag und Bundesrat angesetzt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird Pfarrer Gauck den Amtseid leisten. Was erwarten Sie vom neuen Staatsoberhaupt?

Lernfähigkeit. Er muss lernen, dass Freiheit ohne soziale Gerechtigkeit nur Freiheit für die Besitzenden bedeutet. Er muss lernen, dass der Kapitalismus die Freiheitsrechte der Mehrheit der Menschen dramatisch einschränkt. Er muss lernen, dass es nicht mutig ist, wenn ein Bundesbankvorstand rassistische Parolen verbreitet. Er muss lernen, dass Kriege kein Mittel der Politik sein dürfen.

Die Chance auf ein parteiübergreifendes Signal gleich nach dem Wulff-Rücktritt hat Kanzlerin Merkel durch den Ausschluss der LINKEN verpasst. Wird der präsidiale Scherbenhaufen, den Wulff hinterlässt unter den Teppich einfach gekehrt, oder wird das politische Berlin doch noch ernsthaft an sich arbeiten?

Die Fünf-Parteien-Koalition wird noch ihr blaues Wunder mit Herrn Gauck erleben. Er wird mit der Bild-Zeitung im Rücken die Bundesregierung vor sich hertreiben.

linksfraktion.de, 16. März 2012