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Schreiben gegen das Unrecht

Im Wortlaut von Heike Hänsel,

Von Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
 

 

 

Mit dem kolumbianischen Schriftsteller Gabriel García Márquez hat die Linke in Lateinamerika und weltweit eine  ihrer wichtigsten Stimmen verloren. Gerade für uns in Deutschland, wo "Gabo" viele LeserInnen hatte, löst der Tod des 87-Jährigen große Betroffenheit aus. Seine Romane haben hierzulande viele Menschen an Lateinamerika, seine Kultur und seine Menschen herangeführt und zur Solidarität bewegt.

Es ist schwer, Gabriel García Márquez einzuordnen. Er war ein Schriftsteller, sicher, aber das alleine beschreibt sein Werk kaum. García Márquez verfasste Kurzgeschichten, er schrieb Drehbücher – und natürlich Romane wie sein Opus Magnum "Hundert Jahre Einsamkeit" mit seinem berühmten ersten Satz: "Viele Jahre später sollte der Oberst Aureliano Buendía sich vor dem Erschießungskommando an jenen fernen Nachmittag erinnern, an dem sein Vater ihn mitnahm, um das Eis kennenzulernen." Diese Wortgewalt war García Márquez zu eigen, auch wenn sein argentinischer Kollege José Luis Borges einmal süffisant anmerkte, dass "achtzig Jahre Einsamkeit auch genügt hätten".

Gegen die Gewalt der herrschenden Klasse

In literarischer Vollendung schilderte García Márquez in "Hundert Jahre Einsamkeit" die Geschichte eines Kontinents, der seit über 500 Jahren Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt der eigenen Oligarchien und ihrer internationalen Verbündeten erleidet. Der Roman erzählt die Geschichte Lateinamerikas von der blutigen spanischen Eroberung über die Epoche der Republiken und ihrer Bürgerkriege, über den Imperialismus bis hin zum Neoimperialismus. Als García Márquez in das Dorf Macondo den "gelben Zug" einfahren lässt, ist das eine Metapher auf die Unheil bringende Moderne. Es ist aber auch eine konkrete Anspielung auf ein geschichtliches Ereignis: Der gelbe Zug gehörte der US-amerikanischen United Fruit Company, die Anfang Dezember 1928 im kolumbianischen Ciénaga streikende Bananenpflücker von der Armee massakrieren ließ.

Die Erinnerung an die "Violencia", die damalige und aktuelle Gewalt der herrschenden Klasse gegen die Bevölkerungsmehrheit, war García Márquez ein Anliegen. Zumal die historischen Konflikte und die aus ihr resultierende Gewalt bis heute andauern, wie die brutale Gewalt zeigt, mit der Regierungsgegner in diesen Tagen in Venezuela gegen die demokratisch gewählte Staatsführung vorgehen – auch wenn dies in der internationalen und auch in der deutschen Presse propagandistisch falsch dargestellt wird.

Kompromisslos für die Befreiung der Länder des Südens

García Márquez verfolgte diese nicht neue Frontstellung von Medien gegen progressive Bewegungen in Lateinamerika mit großer Sorge, zumal er sich, wie er 1981 in einem Artikel schrieb, "vor allem anderen als Journalist" betrachtete. Bei einer Medienkonferenz 1996 warnte er vor dem Schaden, den Journalismus anrichten könne. Diese Gefahr "ist heute größer denn je", sagte er damals, um sich gegen "böswillige Manipulationen" und "unachtsame oder vorsätzliche Irrungen" auszusprechen. Auch deswegen hat sich Gabriel García Márquez immer für eine wahrhaftige Berichterstattung eingesetzt. Als Ernesto Che Guevara nach dem Sieg der Kubanischen Revolution die Nachrichtenagentur Prensa Latina ins Leben rief, gehörte García Márquez neben anderen linken Journalisten zu den Mitbegründern. Später gründete er unter anderem eine Filmschule in der Nähe von Havanna, unterstützte das Festival des lateinamerikanischen Films in Kuba und eine Journalistenschule in Kolumbien.

Zu dem ehemaligen kubanischen Staats- und Regierungschef Fidel Castro verband ihn sein Leben lang eine enge Freundschaft, von der er trotz aller Angriffe nicht abließ. Das lag an García Márquez kompromisslosen Eintritt für die Befreiung der Länder des Südens von postkolonialen Strukturen und Imperialismus. Es lag aber auch an der gemeinsamen Biografie. Beide, Fidel und "Gabo", hatten im April 1948 in Bogotá die Ermordung des linksliberalen Politikers Jorge Eliécer Gaitán und den Beginn des folgenden Bürgerkriegs erlebt, der schätzungsweise 300.000 Menschenleben forderte.

Zeitlebens blieb Gabriel García Márquez ein Kritiker der strukturellen Gewalt und Herrschaft der Oligarchen in Lateinamerika, die erst in den vergangenen Jahren von demokratischen und progressiven Regierungen durchbrochen wird.


linksfraktion.de, 24. April 2014