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»Schaufensteranträge sind zu wenig«

Im Wortlaut von Werner Dreibus,

Sachlich oder populistisch? Werner Dreibus über die Gewerkschaftspolitik der Linksfraktion

Werner Dreibus, gelernter Chemiefacharbeiter, ist seit September Abgeordneter der Linken im Bundestag. Dort koordiniert er die Kontakte zwischen Fraktion und Gewerkschaften. Zuvor war er hauptamtlicher Sekretär der IG Chemie und seit 1994 Bevollmächtigter der IG Metall in Offenbach. ND-Mitarbeiter Velten Schäfer sprach mit ihm über seine Agenda für 2006.

Seit September sind Sie Mitglied des Bundestags - als gewerkschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion. Was machen Sie eigentlich in dieser Eigenschaft?

Eine wichtige Sache ist, erst einmal Absprachen zu treffen, dass jetzt auch offiziell Gespräche zwischen Gewerkschaften und der Fraktionsspitze stattfinden. Es ist entscheidend, dass wir zu den Vorständen der Gewerkschaften, zu ihren Fachabteilungen enge arbeitsmäßige Kontakte aufbauen. Das ist sicher auch leichter geworden, weil jetzt über die WASG auch einige aktive Gewerkschafter in der Fraktion sind.

Worüber werden Fraktionsspitze und die Experten der Gewerkschaften denn als erstes reden?

Wir haben ja zum Beispiel im 100-Tage-Programm gesagt, wir machen eine Initiative für einen gesetzlichen Mindestlohn. Das ist auf den ersten Blick ja ein populäres Thema. Aber es gibt da ganz unterschiedliche Positionen, wie man eine sinnvolle Balance finden kann zwischen tarifvertraglicher und gesetzlicher Festlegung von Entgelten. Wir werden nicht im Alleingang eine Initiative entwickeln, sondern in Abstimmung beispielsweise mit ver.di oder der IG Metall. Am Ende soll dann eine von allen Gewerkschaften getragene Initiative stehen. Es kann auch sein, dass das nicht gelingt, weil die Positionen zu weit auseinander sind. Im Bereich der IG Metall ist die Tarifbindung noch viel stärker vorhanden als in manchen Bereichen, für die etwa ver.di zuständig ist. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist da in den Augen vieler kontraproduktiv. Andererseits gibt es auch bei der IG Metall Veränderungen in der Einschätzung dieser Frage. Wichtig ist für mich, dass wir keine Schaufensteranträge machen. Das wäre zu wenig. Wir müssen den Sachverstand in diesem Fall der Gewerkschaften einbeziehen. Auch wenn er differenziert ist.

Was meinen Sie mit Schaufensterpolitik? So etwas wie »Populismus«? Oskar Lafontaine hat kürzlich vor Telekom-Beschäftigten gesagt, man müsse die Bezahlung von Managern durch Aktien verbieten, um die Shareholder-Logik zu stoppen. Der Beifall war groß - doch hat die Fraktion dazu sicher kein durchdachtes Konzept.

Das haben wir meines Wissens tatsächlich nicht. Aber ich würde das trotzdem nicht Schaufensterpolitik nennen. Das ist eben die andere Aufgabe der Linksfraktion, in solchen Fällen auch zu skandalisieren, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen oder ihr eine Plattform zu bieten. Es ist ja wahr, dass im verwilderten Kapitalismus bei der immer enger werdenden Bindung von Managergehältern an den Aktienkurs bereits eine Stellenabbau-Ankündigung die Bezüge der Verantwortlichen hochschnellen lässt.

Also gleichzeitig Stimmung machen und versuchen, sie in praktikable Initiativen umzusetzen?

Es ist schnell eine Rede gehalten. Wir müssen uns aber daran gewöhnen, dass wir solche Sachen ganz solide zu entwickeln haben. Und es ist wichtig, dass wir das nicht alleine tun, sondern zusammen mit Betroffenen. Das sind die Gewerkschaften, das sind, wenn wir über Hartz IV reden, die Arbeitsloseninitiativen, das sind in anderen Fragen andere soziale Bewegungen. Diese Rückkopplung in die Gesellschaft ist mir wichtig, das ist auch Prinzip der WASG. Die Themen, die Termine müssen allerdings die außerparlamentarischen Kräfte setzen. Es ist ein schwieriges Verhältnis zwischen Bewegung und Parlament. Da gibt es kein Patentrezept. Man muss versuchen, das zu leben.

Gewählt worden sind Sie wegen einer weit verbreiteten Skandalstimmung. Jetzt sitzen Sie drin und feilen an Anträgen. Keine Angst vor enttäuschten Wählern?

In den vergangenen Wochen waren wir noch immer viel mehr als wir wollten mit uns selbst beschäftigt. Damit, uns hier effektiv zu organisieren. Wir müssen jetzt aber nach außen wieder sichtbarer werden. Etwa wenn sich im Januar und Februar die Auseinandersetzung um die EU-Dienstleistungsrichtlinie zuspitzen wird.

Was steht mittelfristig auf Ihrer Agenda?

Ein umsetzbares Programm zu entwickeln, wie Hartz IV überwunden werden kann durch eine Zusammenfassung der Mittel für einen öffentlichen Beschäftigungssektor mit anständiger Bezahlung.

Wann ist denn nun mit einem Vorstoß zum Mindestlohn zu rechnen?

Entsprechend unserem 100-Tage Programm wollen wir im Februar eine Expertenanhörung durchführen und auf der Basis des bei Gewerkschaften und anderen dazu vorhandenen Diskussionsstandes eine parlamentarische Initiative möglichst noch im ersten Halbjahr voranbringen.

Neues Deutschland, 6. Januar 2006