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»Richtig, dass Steinmeier gefahren ist«

Im Wortlaut von Wolfgang Gehrcke,

Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Leiter des Arbeitskreises Außenpolitik und Internationale Beziehungen, im DLF-Interview über den Kuba-Besuch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier

 

Jasper Barenberg: Kuba bei seiner vorsichtigen Öffnung unterstützen und zugleich die Chancen ausloten, wie und wo man in Zukunft enger zusammenarbeiten könnte. Mit diesem Ziel ist Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Havanna gereist. Wir haben darüber heute schon berichtet. Dass sich Kuba wirtschaftlich in den vergangenen Jahren ein Stück weit geöffnet hat, vor allem aber, dass Kuba und die USA Jahrzehnte der Eiszeit und der Konfrontation hinter sich lassen und schon in den nächsten Tagen wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen wollen, all das hat so etwas wie einen Sog erzeugt. Schon im Mai war Frankreichs Präsident Hollande in Havanna, auch die Europäische Union hat einen politischen Dialog mit Kuba aufgenommen. Jetzt als Frank-Walter Steinmeier dort, um die Beziehungen mit dem Land auf eine neue Grundlage zu stellen. Am Telefon ist Wolfgang Gehrcke, der außenpolitische Sprecher der Linkspartei im Bundestag. Schönen guten Morgen!

Wolfgang Gehrcke: Schönen guten Morgen!

Barenberg: Herr Gehrke, trifft es die Sache, wenn ich Sie einen Freund und Bewunderer von Fidel Castro nenne?

Gehrcke: Das trifft die Sache sehr positiv. Fidel ist für mich eine der bleibenden Erinnerungen von den Leuten, die ich getroffen habe. Groß wie ein Baum, Ausstrahlen, vieles einreißend – das ist schon eine besondere Type.

Sie wären gern bei dieser Reise dabei gewesen, die ja mehrfach verschoben werden musste. Jetzt fällt sie mit der Sondersitzung im Bundestag zu Griechenland zusammen. Wie sehr schmerzt Sie, dass Sie nicht dabei sind.

Erst mal ist es richtig, dass Steinmeier als Außenminister gefahren ist. Das kann ich nur unterstützen, wenn auch ich es lieber gesehen hätte, dass er früher gefahren wäre. Er hat ja viel abgewartet und hat sich hinten angestellt. Das war unnötig. Ich wäre gern dabei gewesen, er hat ja Vertreter der Fraktion eingeladen gehabt. Das ist der Griechenlanddebatte jetzt zum Opfer gefallen. Also, Pflicht vor Kür.

Schon einmal hat eine Bundesregierung ja eine Annäherung versucht und dann eine Initiative wieder abgebrochen, weil Kuba 2003 seine Repression verschärft hat, eine ganze Reihe von Kritikern und Oppositionellen verhaften ließ. Wer garantiert, dass sich das jetzt nicht wiederholt?

Ich glaube, dass man über einen Dialog viel mehr erreichen kann als über die ständige Erpressung. Kuba ist ja von den USA bis heute oder wird von den USA bis heute boykottiert. Der Handel mit Kuba ist abgebrochen worden. Man hat eine Isolationshaft über Kuba verhängt, und da entwickeln sich demokratische Bewegungen eben schwieriger unter diesem Druck, als ob man vernünftig miteinander umgeht, miteinander redet, debattiert, sich die Meinung sagt. Ich finde das immer so toll, wenn die Meldungen, Sie haben auch über Menschenrechte gesprochen, wenn es so klingt, als ob das besonders mutig ist. Ich halte das für völlig normal, dass man über Menschenrechte reden muss, und da werden beide Seiten Fragen zu stellen haben und Fragen zu beantworten haben.

Es gibt ja eine ganze Reihe von kritischen Journalisten, von einem Blogger, die gerade in Haft sitzen, verurteilt zu teils langjährigen Haftstrafen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen fordert ihre Freilassung. Sie auch?

Ich bin immer dafür, dass Journalisten frei arbeiten müssen. Und der Begriff Journalist ist ja heute sehr weit gefasst, ist jemand, der im Internet arbeitet, als Blogger. Journalist oder nicht, ich möchte einen weiten Begriff von Journalismus haben und ich bin dafür, dass sie frei arbeiten können. Journalisten gehören auf die Straßen und Plätze und nicht in die Gefängnisse. Oder höchstens in die Gefängnisse, wenn sie über die Haftbedingungen berichten wollen. Das ist völlig klar eine Frage, die geregelt werden muss. Ich finde aber auch, dass die kubanische Frage, ob die Bundesrepublik bereit ist, Kuba bei der Auflösung von Guantanamo, das gehört ja zu Kuba, dieses Haftlager der USA, dieses Folterlager, und das muss verschwinden und der Stützpunkt Guantanamo an Kuba zurückgegeben werden. Da könnte doch Deutschland hilfreich vermitteln.

Was könnte Deutschland in der Beziehung erreichen? Der amerikanische Präsident will die Häftlinge entlassen aus Guantanamo, aber hat es selbst noch nicht geschafft wegen innenpolitischer Widerstände in den USA.

Das muss man anerkennen. Ich glaube, dass von der Amtszeit von Obama unter der Rubrik Positives auf alle Fälle zwei Dinge bleiben werden. Das ist die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kuba – über 50 Jahre gibt es ja keine Botschaften beider Länder zueinander. Und das ist möglicherweise das Iran-Abkommen. An beiden war Deutschland beteiligt. Das kann man nur begrüßen. Das ist die Rolle, die Deutschland in der Welt spielen sollte. Und wenn man mit den USA redet und sagt, wir wollen euch helfen, Guantanamo aufzulösen, wir suchen nach Plätzen, wo Häftlinge untergebracht werden können, muss man auch das eigene Land in Betracht ziehen. Und außerdem, man muss koloniale Überbleibsel wie eine Kolonie der USA auf Kuba einfach auflösen, zurückgeben. Gehört nicht den USA, gehört Kuba. Da kann Deutschland eine ganze Menge machen, und ich finde, in den letzten Monaten von Obama sollte man ihn bekräftigen, solche Zeichen zu setzen.

Kuba will den Kommunismus erhalten, indem es ihn für den Kapitalismus öffnet. Nicht aus Einsicht, sondern aus Überlebenswillen. So hat es ein Beobachter dieser Tage formuliert. Trifft das den Kern?

Ja, das trifft natürlich wirklich den Kern. Worüber man streiten muss, das ist, was man unter Kommunismus versteht. Ich finde, dass Kuba eine Gesellschaft ist, die wenig Rassenschranken hat, fast keine. Das finde ich ganz großartig. Wenn Sie auf Kuba sind, werden Sie Menschen jeglicher Hautfarbe sehr normal miteinander umgehen und zusammen leben sehen. Sie finden sie in allen Ebenen der Gesellschaft in Verantwortung. Kuba hat eine schwierige Zeit hinter sich, wo keiner mit diesem Land handeln wollte, die Lebensbedingungen sehr, sehr schwer waren. Aber sie waren für alle schwer. Für die Oberschicht immer etwas leichter, aber sie waren schwer für alle, und ich möchte, dass jetzt eine Zeit beginnt, wo die Menschen an dem beginnenden größeren Reichtum auch gleichermaßen Anteil haben. Und dass Kuba unter solchen Bedingungen mit Ärzten, mit ausgebildeten Fachkräften in Afrika zum Beispiel Ebola bekämpft hat in vielen lateinamerikanischen Ländern aktiv wird, das ist doch was Großartiges. Die kubanische Sonne bringt einen Sozialismus mit sich, der vielleicht etwas attraktiver ist wie das schlechte Wetter in Deutschland und das, was wir hier zustande gebracht haben.

Und doch, Sie sagen es selber, die wirtschaftliche Situation ist, sagen wir mal, schwierig, der Staat braucht dringend Investitionen. Das Wirtschaftswachstum ist nicht gerade gut. Wünschen Sie sich, dass deutsche Unternehmen sich in Kuba engagieren?

Sehr. Ich habe versucht, deutschen Unternehmen immer zu bestätigen, geht nach Kuba, aus mehreren Gründen. Gute Beziehungen zu Kuba öffnen auch das Tor zu besseren Beziehungen zu weiteren linken, links orientierten Ländern in Lateinamerika. Also wer gut in Brasilien verankert sein will, ist gut beraten, vorher in Kuba gewesen zu sein. Für Venezuela trifft das auf alle Fälle zu, und für andere auch. Das ist ein Motiv. Es geht nicht nur um Kuba, aber auch um Kuba. Und deutsche Wirtschaftserfahrungen können in Kuba helfen, wenn sie mit sozialer Gerechtigkeit gepaart werden. Ich bin dafür, dass deutsche Unternehmen in Kuba mit kubanischen Unternehmen zusammenarbeiten, und das wird zum gegenseitigen Vorteil sein.

Ein Bereich könnte natürlich der Tourismus, die Tourismuswirtschaft sein. Diesen Bereich kontrolliert in Kuba allerdings eine Art Holdinggesellschaft der kubanischen Armee. Füttert man mit Investitionen aus Deutschland Kubas Militär, statt dass davon die Menschen profitieren?

Das Militär spielt überall eine Rolle. Und das kubanische Militär ist ja überschaubar. Also, ich bin dafür, dass man mit den Firmen, die es gibt, Vereinbarungen trifft. Man kann in den Verträgen immer die sozialen Aspekte, wie Gewinne verteilt werden, dass sie zur Entwicklung des Landes genutzt werden müssen, ganz besonders betonen. Das betrifft Kuba und auch andere Länder. Ich finde es eigentlich normal. Ich würde nie ein Abkommen im Bundestag unterstützen oder begrüßen, wo soziale Aspekte nicht eine Rolle spielen.


Deutschlandfunk, 17. Juli 2015