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Rettet die Reichen!

Kolumne von Katja Kipping,


 

Von Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion und Vorsitzende der Partei DIE LINKE 

 

Wer das Wort Armut googelt, hat Lektüre für ein verlängertes Wochenende. Nach dem Lesen ist klar, dass bei aller Armut kein Mangel an Definitionen und Klassifikationen herrscht. So wird dann auch in der Zeitung, im Radio, im Fernsehen, auf Fachtagungen und an den Stammtischen diskutiert. Ein Sammelsurium von Indikatoren, Vergleichen, Statistiken, Lebensgewohnheiten, Eigenlob, Mitleid und Schuldzuweisungen muss herhalten, um den Begriff – je nach Gusto – zu deuten. Besonders in der Politik werden mitunter die seltsamsten Behauptungen aufgestellt, mit bestellten Gutachten unterfüttert (zur Not geht's auch ohne) und im Tagesgeschäft verwendet.

Ich will um Himmels Willen nicht behaupten, die Beschäftigung mit dem Thema Armut sei nicht Aufgabe der Gesellschaft – ganz im Gegenteil. Das Thema ist eines der wichtigsten überhaupt, zumal für eine LINKE Partei. Natürlich ist es die Armut – die absolute, entsetzliche Armut in vielen Teilen der Welt, wie auch die relative in den entwickelten Ländern, die uns als Sozialistinnen und Sozialisten zum politischen Handeln motiviert. Und dennoch denke ich, dass man die Diskussion schwerlich führen kann, wenn man den Armutsbegriff auf einen wirtschaftlichen reduziert.

Der Herkunft des Wortes nach ist arm, wer einsam und verlassen ist. Armut mag Mangel an vielem sein: an Nahrung, sauberem Wasser, Unterkunft, Wärme, Geld, Bildung...
Aber das, was absolute und relative Armut eint, scheint mir der Mangel an Hoffnung zu sein. An Hoffnung von Menschen, an ihrer Situation könne sich noch irgendetwas ändern – weil es einfach niemanden interessiert, weil man sich von allen verlassen fühlt. Aber noch eine spezielle Armut, einen speziellen Mangel an Hoffnung gibt es: an Hoffnung, es wäre irgendetwas anderes als Geld und Besitz erreichbar, das einen Menschen glücklich machen könnte. Diese Art der Armut zerfrisst die Gesellschaften – weltweit. Es gibt sie übrigens in jeder gesellschaftlichen Schicht, in jedem Milieu. In einer auf Verwertungs- und Leistungsdruck konditionierten Gesellschaft manifestieren sich Arten der Armut, die wir selten als solche benennen. Armut an Solidarität, Armut an Empathie, Armut an Rücksicht, Armut an Muße...

Zwischen diesen Arten der Armut und jener Armut – ob nun relativ oder absolut – in Form des Mangels am Nötigsten zum Leben besteht ein Zusammenhang. Die einen verursachen die andere.

Jeder kennt – ob aus der Literatur oder aus dem richtigen Leben – jenes Bild vom einsamen, unglücklichen Reichen. Sei es der Milliardär, der sich aus Angst vor Entführung oder Raub in seinem streng bewachten Reichtum langweilt. Sei es das Kind begüterter Eltern, das nicht mit den Schmuddelkindern spielen darf. Beide bedürfen des Aufruhrs. Das Kind des Aufruhrs gegen seine Eltern, der Milliardär des Aufruhrs seines Gewissens – und seiner Vernunft, die ihm sagt, dass er eines Tages selbst in seiner Festung nicht mehr sicher sein kann, wenn er nicht aufhört, jene Gesellschaft zu zerstören, der er ja doch selbst angehört und ohne deren Funktionieren auch seine eigene Existenz ihr Ende in der Barbarei findet.

Es mag für uns LINKE seltsam klingen, noch dazu in der Weihnachtszeit – aber es ist kein Widerspruch: Die Reichen bedürfen unserer engagierten Unterstützung! Und zwar beim Erkenntnisgewinn.


linksfraktion.de, 22. Dezember 2015