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Rentenaufschlag für Geringverdienende ist seit 50 Jahren der Normalfall

Nachricht von Matthias W. Birkwald,

Seit Monaten blockiert die Union, sozialgerechte Rentenaufschläge für langjährig Geringverdienende. Dabei gibt es diesen Rentenzuschlag seit den siebziger Jahren und für Zeiten bis 1991. Noch heute profitieren Millionen Menschen davon.  Der Rentenexperte der Linksfraktion, Matthias W. Birkwald, hat jetzt interessante Fakten dazu an den Tag gebracht.


Auswertung der Antworten der Bundesregierung auf die schriftlichen Fragen zu den Vorgängerregelungen der sogenannten "Grundrente"


Zusammenfassung:

In der aktuellen Debatte um die sogenannte "Grundrente" stehen die Kosten und die Bedürftigkeitsprüfung im Vordergrund. Keine Rolle in der öffentlichen Diskussion spielen bisher die Vorgängerregelungen der sogenannten "Grundrente" - die 1972 eingeführte Rente nach Mindesteinkommen und die Anschlussregelung der Rente nach Mindestentgeltpunkten, die für rentenrechtliche Zeiten bis einschließlich 1991 Anwendung fand und die bei heutigen Rentnerinnen und Rentnern immer noch finanziell wirksam sind!

Im Jahr 2018 profitieren noch 3,6 Millionen Rentnerinnen und Rentner von den Vorgängerregelungen, 83 Prozent davon Frauen. Bei begünstigten Frauen im Westen erhöht sich die Bruttorente durchschnittlich um 79 Euro. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf 3,3 Milliarden Euro.

Dazu erklärt Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag:

"Ein Rentenaufschlag für Geringverdienende ist im internationalen Vergleich und im deutschen Rentensystem seit knapp 50 Jahren der Normalfall und zwar ohne jede Bedürftigkeitsprüfung. Ein Blick in die deutsche Rentengeschichte zeigt, dass CDU, CSU und FDP zu den glühenden Verfechtern der Vorgängerregelungen (Rente nach Mindesteinkommen/Mindestentgeltpunkten) gehörten und diese bis zu deren Auslaufen für Zeiten ab 1992 verteidigten. Die heutigen Kritikerinnen und Kritiker sollten sich an das soziale Versprechen der Gesetzlichen Rente erinnern, dass Menschen nach einem langen Arbeitsleben im Alter nicht aufs Sozialamt gehen müssen! Die Kosten für dieses wichtige Versprechen des Sozialstaates liegen heute immer noch bei 3,3 Milliarden Euro jährlich. Sie sind damit angemessen und eingepreist. Es profitieren vor allem Frauen und Ostdeutsche, die in Deutschland immer noch mit Niedriglöhnen abgespeist werden. DIE LINKE im Bundestag fordert deshalb die Verlängerung einer reformierten Rente nach Mindestentgeltpunkten über Zeiten nach 1992 hinaus (25 Versicherungsjahre und Aufwertung auf 80 % des Durchschnittslohns). Die Union muss ihre Blockadehaltung sofort aufgeben. Wer die Kosten für den Rentenaufschlag für Geringverdienende wirklich senken will, muss den gesetzlichen Mindestlohn sofort auf 12 Euro brutto anheben. Das wäre sozial gerecht und finanziell nachhaltig!

 

Hintergrund:

Im Jahr 1970 beschrieb die damalige Bundesregierung in einem Bericht zur Frage der Rentenversicherung (Drs 6/1126, S. 19) unter der Überschrift: „Anhebung von niedrigen Renten“ das Problem, dass 16 Prozent der Frauen in der GRV trotz 30 Beitragsjahren keine Rente über Sozialhilfeniveau erreichen. Schon damals hieß es in dem Bericht: „Da dem Rentenrecht eine Bedürftigkeitsprüfung fremd ist und auch verwaltungstechnisch von den Versicherungsträgern nicht durchgeführt werden kann, müsste ggf. die Bezugsberechtigung für eine Mindestrente nach anderen Kriterien festgestellt werden (z. B. Dauer der Pflichtversicherungszeit).“ (S. 20)

Im Vorfeld der ersten großen Rentenreform nach Einführung der gesetzlichen Rente 1957 gab es bereits im darauf folgenden Jahr 1971 den ersten „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Alterssicherung für Frauen und Kleinstrentner“und zwar von der CDU/CSU-Fraktion, die dem SPD Arbeitsminister Arndt und der damaligen SPD-FDP-Regierung damit die Show stehlen wollte. Er sah – vereinfacht dargestellt – vor, dass Versicherte mit mindestens 25 (sic!!) Versicherungsjahren (Zurechnungszeiten von Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentnern zählten selbstverständlich mit) im Durchschnitt mindestens so viel Rente bekommen sollten als hätten sie 85 (sic) Prozent des Durchschnittslohnes verdient. An diesen Gesetzentwurf, der im Grundsatz dem knapp 50 Jahre später präsentierten Ideen von Huberts Heil weitgehend entspricht und sie in den Details sogar noch übertrumpft, können und wollen sich die Kritikerinnen und Kritiker aus der Union heute natürlich nicht mehr erinnern.

Umgesetzt wurde der Rentenaufschlag für Geringverdienende von der SPD mit dem Rentenreformgesetz 1972 dann unter dem Namen „Rente nach Mindesteinkommen“. Sie sah eine 25jährige Vorversicherungszeit vor und Zeiten bis vor 1973 wurden seit dem auf 75 Prozent des Durchschnitts aufgewertet. Dieses Gesetz wurde übrigens mit nur einer Stimmenthaltung angenommen und die seitdem selbstverständliche Aufwertung von Niedriglöhnen existiert in modifizierter und sehr beschränkter Form bis heute im deutschen Rentenrecht.

Denn 1989 verlängerte die schwarz-gelbe Koalition unter dem neuen Titel „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ (§ 262, SGB VI) die alte Regelung auf Zeiten bis 1992. Die Vorversicherungszeit wurde auf 35 Jahre erhöht und niedrige Durchschnittsrenten um das 1,5fache auf nur maximal 75 Prozent des Durchschnittswertes erhöht.

Im Jahr 2002 wurde diese Regelung dann zwar entfristet, aber nur noch auf Versicherte mit Kindern in den sieben Jahren nach Auslaufen der ‚Mütterrente‘ bzw. bei einem pflegebedürftigen Kind bis zum 18. Geburtstag beschränkt („Renten mit zusätzlichen Entgeltpunkten“ § 70 Abs 3a, SGB VI). Auch die Höhe der Aufwertung ist wesentlich komplizierter und in der Summe massiv gekürzt worden. Die Antwort der Bundesregierung zeigt die begrenzte Wirksamkeit dieser aktuellen Regelung. Neurentnerinnen im Westen erhalten daraus nur einen Aufschlag von monatlich durchschnittlich 24,02 Euro brutto (Rente nach Mindestentgeltpunkten: 49,24 Euro). Insgesamt profitieren im Rentenbestand nur 1,1 Millionen Rentnerinnen und Rentner von diesem Aufschlag.

Um die Vorgeschichte und die aktuelle Bedeutung dieser Vorgängerregelungen genauer zu erfassen, habe ich die Bundesregierung gefragt, wie viele Rentnerinnen und Rentner heute noch von diesen Regelungen profitieren, um welchen Betrag ihre Renten erhöht werden und welche Kosten die Rentenversicherung dafür trägt.

 


1 In der Begründung heißt es: „Im Regelfall soll eine Alterssicherung erreicht werden, die eine Grundsicherung des erarbeiteten Lebensstandards erlaubt. Diese Form der Alterssicherung hat sich in den vergangenen Jahren bewährt. Unbefriedigende Ergebnisse werden mit diesem Rentensystem jedoch für die alten Menschen erzielt, deren Arbeitseinkommen unverhältnismäßig niedrig waren und nicht den erbrachten Leistungen entsprachen. Vor allem Frauen, aber auch Männer, die niedrig bewertete und gering entlohnte Tätigkeiten ausgeübt haben, kommen trotz langjähriger einkommensgerechter Beitragsentrichtung nach der entgeltbezogenen Rentenformel nur in den Genuß einer Rente, die unter oder nur wenig über den Sozialhilfesätzen liegt. (Drucksache VI/2584, S. 4)

 


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