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Reichstagsbrand war Startschuss für die Errichtung der NS-Terrorherrschaft

Nachricht von Jan Korte,

„Der Reichstagsbrand heute vor 90 Jahren veränderte die politischen Bedingungen im Deutschen Reich schlagartig und grundlegend. Mit der Reichstagsbrandverordnung, neben dem Ermächtigungsgesetz das eigentliche Gründungsdokument der NS-Diktatur, wurde der Weg in die absolute Terror- und Willkürherrschaft geebnet. Auf die Verhaftungen der Kommunistinnen und Kommunisten folgte die übrige Opposition. Die Suspendierung der verfassungsmäßigen Grundrechte begründete einen permanenten Ausnahmezustand, der es dem NS-Regime ermöglichte, Unterdrückungsmaßnahmen gegen Oppositionelle mit dem Schein von Legalität zu umgeben“, erklärt Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion DIE LINKE, anlässlich des 90. Jahrestages des Reichstagsbrandes am 27. Februar 1933. Korte weiter:

„Nachdem bereits am 4. Februar 1933 mit der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes die Versammlungs- und Pressefreiheit weitgehend eingeschränkt worden war, nutzten die Nazis, weniger als einen Monat nach der Machtübertragung an Hitler, den Brand des Reichstages, um die Diktatur auszubauen und ihre Herrschaft zu stabilisieren. Mit Verweis auf die Gefahr des Terrors wurden mit der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat nur einen Tag nach dem Brand zentrale Elemente des Rechtsstaates von den Nazis ausgehebelt: U.a. wurden die Pressefreiheit weiter eingeschränkt, das Brief-, Post und Fernmeldegeheimnis begrenzt und die Grundlage für die brutale Verfolgung und Ausschaltung der politischen Gegner der Nazis, die zu Tausenden in "Schutzhaft" genommen wurden, gelegt.

Der Reichstagsbrandprozess und die mutigen Auftritte von Georgi Dimitroff in diesem Prozess führten die Nazideutung eines kommunistischen Aufstandsversuchs zwar ad absurdum, der Weg in die Diktatur war aber geebnet. Nach 1949 wurde in Westdeutschland eine heftige Kontroverse um die Verantwortlichkeit für den Brand geführt und Zweifel an der alleinigen Täterschaft von Marinus van der Lubbes geäußert. Die Frage stand im Raum, ob die Nazis selbst den Brand inszeniert hatten, um die Beseitigung der Demokratie zu beschleunigen. In den sechziger Jahren wurde diese Kontroverse durch die Arbeiten des pensionierten niedersächsischen Verfassungsschutzbeamten und Amateurhistorikers Fritz Tobias und dessen Beglaubigung durch Hans Mommsen vom Institut für Zeitgeschichte in München vorläufig entschieden: erwiesen sei, so Tobias, das van der Lubbe als Alleintäter für den Reichstagsbrand verantwortlich sei.

Die berechtigten Zweifel an dieser Theorie und auch an den vorgelegten Beweisen sind nie abgerissen, konnten sich im antikommunistischen Klima der Bundesrepublik allerdings kaum noch Gehör verschaffen. Auch der damalige Bundestagspräsident Lammert legte sich in einer Laudatio auf das Buch des Tobias-Nachfolgers Felix Kellerhoff 2008 auf die Alleintäterthese fest. Und dies, obwohl etliche namhafte Wissenschaftler*innen die Unhaltbarkeit der Alleintäterthese seit vielen Jahren durch ihre Arbeiten belegen konnten. In einer 2019 bekannt gewordenen notariell beurkundeten eidesstattlichen Versicherung vom 8. November 1955 beschreibt z.B. der frühere SA-Mann Hans-Martin Lennings, der einem SA-Trupp „zur besonderen Verwendung“ angehört hatte, wie er gemeinsam mit zwei weiteren in Zivil gekleideten SA-Männern van der Lubbe am Abend des Brandes von einem SA-Lazarett im Bezirk Tiergarten abgeholt und in den Reichstag gebracht habe. Van der Lubbe habe schlecht sehen können und sich in einem „benommenen Zustand“ befunden. Am Reichstag sei den SA-Männern aufgefallen, „dass ein eigenartiger Brandgeruch herrschte und dass auch schwache Rauchschwaden durch die Zimmer hindurchzogen“. Nach Lennings Überzeugung könne der Niederländer unmöglich der Brandstifter gewesen sein, da „nach unseren Feststellungen“ der Reichstag schon gebrannt haben müsse, „als wir van der Lubbe dort ablieferten“. Und auch in den letzten Monaten gibt es wieder neue Ansätze und Versuche, den damaligen Ereignissen auf die Spur zu kommen. So versucht derzeit ein Team von Gerichtsmedizinern in Leipzig mit Hilfe eines toxikologischen Gutachtens der sterblichen Überreste von van der Lubbe den Nachweis zu erbringen, ob dieser unter Drogen gesetzt worden war. Und auch Roland Goertz, Professor am Lehrstuhl für Chemische Sicherheit und Abwehrenden Brandschutz der Uni Wuppertal und Direktor des Feuerwehrwissenschaftlichen Instituts FSI, arbeitet aktuell Ursache und Verlauf des Feuers mit alten Akten und neuesten wissenschaftlichen Methoden auf. Denn auch der Brandverlauf spricht dafür, dass es mehrere Täter gegeben haben muss.

Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Reichstagsbrandes für die deutsche Geschichte sieht es die Fraktion DIE LINKE als eine Pflicht des Bundestages an, sich mit neuen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen zu dieser Frage zu beschäftigen. Die Fraktion fordert deshalb die Präsidentin des Bundestages dazu auf, in geeigneter Form die neueren Forschungen zum Reichstagsbrand der Öffentlichkeit zu präsentieren und gemeinsam mit den Fraktionen nach einer Form zu suchen, in der die unterschiedlichen Ergebnisse zur Sprache gebracht und die vorhandene Kontroverse ausgetragen werden kann.

Aus heutiger Sicht sind der Reichstagsbrand und die Folgen ein Fanal für die Brüchigkeit demokratischer Rechte. Vor dem Hintergrund einer Terror- und Aufstandshysterie, bei gleichzeitiger Stigmatisierung eines politischen Gegners als mörderischen Feind, ist es den Nazis ohne größeren Widerstand gelungen, zentrale Elemente der Demokratie zu beseitigen. Die Verteidigung demokratischer Bürgerrechte und das Misstrauen gegen alle Einschränkungen dieser Rechte mit dem Verweis auf die Gefahren des Terrors sollte für alle Demokraten eine wichtige Lehre aus dem 27. Februar 1933 sein.“