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Sabine Zimmermann und Klaus ErnstFoto: Frank Schwarz

Regierung treibt Deregulierung von Arbeit weiter voran

Im Wortlaut, Interview der Woche von Klaus Ernst, Sabine Zimmermann,

Klaus Ernst, der Bundestag berät am Donnerstag in erster Lesung über das Gesetz der Bundesregierung, das Leiharbeit begrenzen und den Missbrauch von Werkverträgen verhindern soll. Ist das jetzt endlich das, worauf Sie und DIE LINKE so lange gewartet haben?

Klaus Ernst: Nein, das ist es leider nicht. Im Gegenteil. Frau Nahles schlägt ein Gesetz vor, das aus Sicht der Leiharbeitsbeschäftigten hinter bestehendes Recht zurückfällt. Das haben auch anerkannte Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtler wie Christiane Brors, Wolfgang Däubler und Peter Schüren bestätigt. Künftig ist es legal, Dauerarbeitsplätze durch Leiharbeit zu ersetzen. Denn die geplante Höchstüberlassungsdauer bezieht sich nicht auf Arbeitsplätze, sondern nur auf den einzelnen entliehenen Beschäftigten. Es geht nicht darum, Auftragsspitzen abzufedern. Genau das stellt einen Missbrauch von Leiharbeit da. Auch andere Regelungen verbessern die Situation der Beschäftigten nicht. Eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten läuft völlig ins Leere, wenn man bedenkt, dass die Hälfte aller Leiharbeitsbeschäftigten nach drei Monaten gar nicht mehr in dem Entleihbetrieb beschäftigt ist. Und diese 18 Monate dürfen sogar noch mal überschritten werden, wenn ein Tarifvertrag Anwendung findet. Ähnlich sieht es beim Equal Pay aus. Gleiche Bezahlung gibt es erst nach neun Monaten – oder bei entsprechendem Tarifvertrag sogar erst nach fünfzehn Monaten! Auch hier profitieren die wenigsten Leiharbeitsbeschäftigten von der Regelung. Denn knapp Dreiviertel von ihnen arbeiten weniger als neun Monate in einem Betrieb und erhalten damit keine Gleichbezahlung.

Von Arbeitsrechtlern wird insbesondere auch das Widerspruchsrecht bei den Werkverträgen kritisiert. Was hat es damit auf sich?

Klaus Ernst: Mit dem Widerspruchsrecht hat sich die SPD ein wahres Kuckucks-Ei ins Gesetz legen lassen. Derzeit kann sich bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung durch Scheinwerkverträge der betroffene Arbeitnehmer auf ein festes Arbeitsverhältnis im Einsatzbetrieb einklagen. Zukünftig entfällt dies, wenn der Arbeitnehmer frühzeitig – also zum Beispiel bei Antritt des Leiharbeitsverhältnisses – erklärt, das er bei illegaler Leiharbeit auf ein Arbeitsverhältnis mit dem Einsatzbetrieb verzichtet.

Klingt erst einmal sehr abstrakt. Was bedeutet das konkret für die Beschäftigten?

Klaus Ernst: Trotz Scheinwerkvertrag, also illegaler Arbeitnehmerüberlassung, haben Beschäftigte in diesem Fall weder Anspruch auf entsprechende Entlohnung noch auf Zahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung gegenüber dem Entleiher. Das ist eine drastische Verschlechterung gegenüber dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung. Durch diese Regelung wird aus einem ehemaligen Straftatbestand eine Ordnungswidrigkeit gemacht, die in der Praxis kaum Konsequenzen für den Entleiher nach sich zieht. Er kann sich über ein geringes Bußgeld freikaufen und Millionen sparen, wenn er sich direkt bei Arbeitsaufnahme einen Widerspruch von den Werkvertragsbeschäftigten als Freibrief geben lässt. Man kann sich einfach ausmalen, was das in der Realität bedeutet.

Minijobs und erzwungene Teilzeit sind weitere Baustellen. Sabine Zimmermann, Sie haben vergangene Woche vorgerechnet, wie viele Menschen trotz Arbeit zum Amt müssen, weil ihr Einkommen nicht zum Leben reicht. Wie möchten Sie sicherstellen, dass niemand mehr trotz Arbeit arm ist?

Sabine Zimmermann: Dass es einen Niedriglohnsektor in Deutschland gibt, ist Ergebnis einer ausdrücklich gewollten Politik der damaligen rot-grünen Bundesregierung. Unser politisches Ziel ist es, ihn wieder abzuschaffen. Die gesamte Deregulierung der Arbeit – wir haben grade über die Leiharbeit gesprochen – macht Arbeitsplätze unsicherer. Das macht es den Beschäftigten schwerer, ihre Interessen und höhere Löhne durchzusetzen. Minijobs, von denen es mittlerweile 7,5 Millionen gibt, verdrängen reguläre Beschäftigung und bieten meist nur sehr magere Stundenlöhne. Und arm trotz Arbeit ist man heute auch, weil viele Dinge privatisiert worden sind und heute viel teurer sind als früher. Mehr Netto vom Brutto heißt für mich zum Beispiel auch, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder zu gleichen Teilen die Krankenversicherungsbeiträge schultern sollten.

Hat die Einführung des Gesetzlichen Mindestlohns also nicht den erhofften Effekt?

Klaus Ernst: So richtig der Mindestlohn prinzipiell ist, er ist viel zu niedrig und führt in Altersarmut. Nicht nur, dass Menschen in Ballungszentren weiterhin mit Hartz IV aufstocken müssen, auch im Alter werden Beschäftigte, die ihr Leben lang Vollzeit zum Mindestlohn gearbeitet haben, auf Sozialleistungen vom Staat angewiesen sein. Die Bundesregierung hat es selbst in einer Antwort auf meine schriftliche Frage ausgerechnet: Um eine Rente über der Grundsicherung im Alter in Höhe von 788 Euro zu erhalten wäre bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden über 45 Jahre sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ein Stundenlohn von 11,68 Euro notwendig. Ab Januar 2017 wird der Mindestlohn in einem gesetzlich vorgesehen Rahmen auf 8,84 steigen. Das ist doch ein Witz!

Warum hat die Kommission den Mindestlohn nicht entsprechend angehoben?

Klaus Ernst: Das Problem ist hier die gesetzliche Konstruktion des Mindestlohns. Die Mindestlohnkommission hat sich laut Mindestlohngesetz bei der Empfehlung der Mindestlohnhöhe nachlaufend an der Tarifentwicklung zu orientieren. Das schafft nur einen begrenzten Spielraum zur Anhebung nach oben. Daher muss die Bundesregierung gesetzlich nachbessern und den Mindestlohn deutlich anheben. Das nützt am Ende nicht nur den Beschäftigten, sondern dem gesamten Sozialsystem. Denn zum einen wird mehr in die Rentenkasse eingezahlt und zum anderen sind die Menschen nicht mehr auf Aufstockungsleistungen vom Staat angewiesen.

Quasi kurz vor Schluss hat die Koalition das Dauerthema Rente aufgegriffen und vergangene Woche im Kabinett die sogenannte „Flexi-Rente“ beschlossen. Ist das jetzt endlich der große Wurf gegen Altersarmut?

Sabine Zimmermann: Mehr Entscheidungsfreiheit durch höhere Flexibilität beim Rentenzugang hört sich erst einmal nachvollziehbar an. Aus meiner Sicht liegt aber das viel dringendere Problem darin, dass viel zu wenig Menschen gesund und sozial abgesichert in Rente gehen können. Dazu findet sich nichts in diesem Gesetzvorhaben. Für mich wirkt die Flexi-Rente vielmehr wie ein Vorgeschmack auf die kommenden Jahre: Durch die Leistungskürzungen in der gesetzlichen Rente werden wir mit immer mehr Armutsrenten konfrontiert werden. Dann wird schnell gerufen: "Geht doch weiter arbeiten!“ Malochen bis zum Tod ist aber sicherlich kein Leitbild linker Sozialpolitik.

Die andauernde Ungleichheit zwischen Ost und West, sei es bei den Löhnen oder bei der Rente, ist heute doch eigentlich niemandem mehr zu vermitteln. Wieso ist eine Angleichung offenbar immer noch so schwer?

Sabine Zimmermann: Ostdeutsche Landesregierungen haben jahrelang mit niedrigen Löhnen geworben, um Investoren anzulocken. Damit haben sie ganz bestimmte Investoren zu sich geholt und es den Gewerkschaften schwer gemacht, höhere Löhne durchzusetzen. Das rächt sich jetzt. Es muss Schluss damit sein, dass der Osten Deutschlands für die Unternehmer als Billiglandoase angepriesen wird. Was die Angleichung der Renten betrifft: Solange das Lohnniveau im Osten weiter bei nur 87 Prozent des Westniveaus liegt, wird es mit uns kein Ende der Höherwertung der Löhne bei der Rentenberechnung geben. Ansonsten drohen den Beschäftigten Rentenansprüchen auch in Zukunft deutlich niedrigerer Renten als im Westen.

Immer noch hängen konstant viele Menschen in der Hartz IV-Schleife fest, kommen aus der Langzeitarbeitslosigkeit nicht heraus. Woran liegt das und was muss geschehen?

Sabine Zimmermann: Die Mittel zur Weiterbildung und Qualifikation von Erwerbslosen werden seit Jahren gekürzt. Man will alles dem Markt überlassen. In Langzeiterwerbslosigkeit hängen viele fest, die keine Ausbildung abschließen konnten. Andere waren lange aus dem Job raus, zum Beispiel, weil sie Kinder großgezogen haben. Diese Menschen sind oft hoch motiviert. Private Arbeitgeber scheuen sich, Langzeiterwerbslose einzustellen. Deshalb wäre es nicht nur für die Betroffenen, sondern für die ganze Gesellschaft nützlich, öffentliche Beschäftigung aufzubauen, wo auch Langzeiterwerbslose (wieder) Berufserfahrung sammeln können, in einem öffentlich finanzierten Beschäftigungssektor, aber auch direkt im öffentlichen Dienst.