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Prävention auf Sparflamme

Im Wortlaut von Kathrin Vogler, Birgit Wöllert,

Birgit Wöllert (l.), Gesundheitspolitikerin, und Kathrin Vogler, Sprecherin für Arzneimittelpolitik und Patientenrechte der Fraktion DIE LINKE, sprechen im Interview über hausärztliche Versorgung, die Zukunft der Pflege, die schwierige Lage der Hebammen und die Gesundheitspolitik der Großen Koalition

 

Frau Wöllert, Frau Vogler, Sie beide kommen aus eher ländlichen Regionen. Haben Sie noch einen Hausarzt?

Birgit Wöllert: Ja, ich habe eine Hausärztin – eine sehr engagierte Frau, die allerdings auch das 60. Lebensjahr überschritten hat. Ich fühle mich bei ihr sehr gut aufgehoben. Das Problem der hausärztlichen Versorgung zeichnet sich allerdings in meinem Wahlkreis schon ab. Deshalb gibt es seit diesem Jahr auch ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) als Tochtergesellschaft unseres Spremberger Krankenhauses. Dort arbeiten jetzt eine Hausärztin und eine Kinderärztin.

Kathrin Vogler: Ich habe sogar vier, die in einer Gemeinschaftspraxis arbeiten. Von einem von ihnen habe ich auch die Handynummer, wenn mal am Wochenende was passiert. Und alle haben noch reichlich Zeit bis zum Rentenalter. Aber in vielen kleineren Gemeinden gibt es solchen Luxus nicht mehr.

Gesundheitsminister Gröhe sprach in seiner Haushaltsrede davon, dass die bezahlbare, wohnortnahe Versorgung für den ambulanten medizinischen Bereich gesichert ist. Ist diese Einschätzung richtig?

Birgit Wöllert: In meinem Bundesland Brandenburg gibt es schon seit mehreren Jahren in einzelnen Regionen Probleme damit, Ärztinnen und Ärzte für eine Tätigkeit im ambulanten Bereich zu gewinnen. Das betrifft vor allem den Bereich der hausärztlichen Versorgung, aber auch Augenärztinnen und -ärzte, Frauenärztinnen und -ärzte und Kinderärztinnen und -ärzte, obwohl hier Zulassungen mit bis zu 50 000 Euro von der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg gefördert werden. Nach wie vor bestimmt die Zahl der Privatversicherten maßgeblich die Versorgungsdichte. Wer Unterversorgung wirksam bekämpfen will, kommt nicht daran vorbei, sich auch kritisch mit der bestehenden Überversorgung auseinanderzusetzen. Je weiter die Wege bis zur ärztlichen Versorgung sind, desto höher ist die finanzielle Belastung für Patientinnen und Patienten. Fahrtkosten sind – wie so vieles andere auch – im Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr enthalten.

Vertrauen Sie der Bundesregierung, die verspricht, dass der neue Pflegebegriff, der auf die Bedürfnisse Demenzkranker eingeht, in dieser Legislaturperiode mit Leben erfüllt wird?

Kathrin Vogler: Leider spielt auch die neue Bundesregierung wieder auf Zeit. Sie will zunächst testen und evaluieren, was längst fertig auf dem Tisch liegt. Und die geplante Erhöhung der Pflegebeiträge wird kaum ausreichen, um die Leistungen spürbar zu verbessern. Absolut unsinnig ist, dass ein Drittel dieser Erhöhung gar nicht in die Verbesserung der Leistungen fließen wird, sondern in einen Fonds bei der Bundesbank. Das ist angesichts anhaltend niedriger Zinsen bei gleichzeitiger Preissteigerung geradezu Diebstahl an den Versicherten. Die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen warten schon viel zu lange auf eine substanzielle Verbesserung, damit Pflegebedarf nicht mehr in die Sozialhilfe führt. Da werden wir als LINKE noch viel Druck machen müssen.

Hermann Gröhe fühlte sich ja vor ein paar Wochen einer derzeit akut bedrohten Berufsgruppe besonders verbunden: den Hebammen. Insbesondere sie tragen in einem sehr wichtigen Bereich zu einer der wohnortnächsten ambulanten Gesundheitsversorgungen bei. Hat Gröhe sie vor dem Aus gerettet?

Birgit Wöllert: Er hat sie eindeutig nicht gerettet. Es wurde eine Regelung bis zum Jahr 2016 gefunden. Das grundsätzliche Problem einer leistungsgerechten Vergütung und der steigenden Haftpflichtprämien wurde nicht gelöst. Wie die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands, Martina Klenk, sagte, komme jetzt anstatt eines schnellen Todes ein "Sterben auf Raten". Wir brauchen endlich einen staatlichen Haftungsfonds, nicht nur für die Hebammen, sondern für alle Gesundheitsberufe. Schon 2010 stellte die LINKE fest, dass nur noch 30 Prozent der freiberuflichen Hebammen von ihrem Beruf leben können. Stundenlöhne zwischen 7,50 und 8,50 Euro sind keine Seltenheit. Es ist eine Schande, wie dieses reiche Land mit den Menschen umgeht, die Kindern, die ja unsere Zukunft sein sollen, auf die Welt helfen. Von den 3,5 Milliarden, die sich der Finanzminister in diesem Jahr aus den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung holen will, würde ein kleiner Teil in zweistelliger Millionenhöhe ausreichen, um das Problem zu lösen.

Seit Jahren engagiert sich Ihre Fraktion für die Abschaffung der Rezeptpflicht für die "Pille danach". Wie weit sind sie schon gekommen?

Katrin Vogler: Es gibt ein neues Gutachten des Sachverständigenausschusses beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das ganz klar die Entlassung aus der Verschreibungspflicht empfiehlt. Auch der Bundesrat hat einen entsprechenden Antrag beschlossen. Nur die Union und ihr Gesundheitsminister Hermann Gröhe mauern weiter. Dafür gibt es keine wissenschaftlichen medizinischen oder pharmakologischen Argumente, sondern nur Ideologie. Die entscheidende Frage bei der Durchsetzung dieser wichtigen Verbesserung für die Frauen wird sein, ob sich die SPD traut, zu ihrer Forderung aus der letzten Wahlperiode zu stehen und sich wenigstens dieses eine Mal gegen den Koalitionspartner durchzusetzen. Wir haben einen Antrag eingebracht, der die Verschreibungsfreiheit für Levonorgestrel fordert und der jetzt im Ausschuss weiter beraten wird. Gemeinsam mit den Grünen wird DIE LINKE auch hier weiter am Ball bleiben.

Im Etat des Gesundheitsministers ist ein beachtlicher Posten für Prävention vorgesehen: immerhin 43 Millionen Euro. Eine gute Investition, oder?

Birgit Wöllert: Verteilt auf die circa 80 Millionen Menschen in der Bundesrepublik machen 43 Millionen knapp 54 Cent pro Jahr und Kopf. Das illustriert den Stellenwert von Prävention in Deutschland. Für 2014 werden die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen auf 202 Milliarden Euro prognostiziert. Ein großer Kuchen, der zu verteilen ist. Das weckt bei den einzelnen Gruppen der Gesundheitsversorgung Begehrlichkeiten. Im Gesundheitssystem kann man also viel Geld verdienen. Die Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes in den Ländern könnte beispielsweise einen großen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge leisten. Aber gerade hier fehlen häufig die öffentlichen Mittel. Eine Stärkung der öffentlichen Gesundheitsdienste wäre auch eine Stärkung der Prävention vor Ort. Dort weiß man am besten, welche Aufgaben konkret zu leisten sind.

Prävention hat das Ziel, Beschwerden oder Krankheiten erst gar nicht entstehen zu lassen oder so lange wie möglich zu verzögern. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit als körperliches, seelisches und geistiges Wohlbefinden. Daran merkt man, dass Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit ist, sondern vor allem mit Lebensbedingungen zu tun hat. Prävention muss also bei den Lebenslagen der Menschen ansetzen. Dazu gehören die Bekämpfung von Armut, die Sicherung von gesundheitsfördernden Arbeitsbedingungen, gesundheitliche Vorsorge und die notwendige soziale Infrastruktur für alle Menschen ohne Einschränkungen. Für diese vielfältigen Aufgaben sind 43 Millionen bestenfalls ein Anfang.


linksfraktion.de, 16. April 2014