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Postfaktisch ist hier nur die Politik

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Von Pascal Detzler und Sonja Kemnitz

Die Pflegekräfte mahnen schon lange. Wissenschaftler und Verbände unterbreiten Vorschläge. Dennoch wächst der Personalnotstand in der Pflege. In Krankenhäusern wie in Pflegeheimen. Denn eine grundlegende Weichenstellung für mehr Pflegepersonal und bessere Arbeitsbedingungen durch die Bundesregierung fehlt. Nach wie vor schreiben Krankenhäuser und Pflegeheime rote Zahlen, wenn sie ausreichend Personal vorhalten. Die Diskrepanz zwischen dem Alltag der Pflegebeschäftigten und der Regierungseinschätzung wächst weiter. Postfaktische Politik!

Mit dem Antrag „Gute Arbeit – Gute Versorgung: Mehr Personal in Gesundheit und Pflege“ fordert die Fraktion DIE LINKE: Gesetzliche Regelungen, wie viel Personal pro Patient notwendig ist und die Finanzierung der notwendigen Stellen. Beschäftigte aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen kommentierten und unterstützen den Antrag der LINKEN mit lebensnahen Stellungnahmen in E-Mails an den Gesundheitsausschuss.

In der öffentlichen Anhörung zum Antrag am 30. November gab es Unterstützung auch aus der Wissenschaft. 100.000 Pflegekräfte mehr werden sofort gebraucht, um eine durchschnittliche europäische Personalausstattung zu erreichen. Und nur eine gesetzliche Personalbemessung kann gute Pflege garantieren. Dr. Pia Wieteck erklärte: „Nur durch mehr Pflegekräfte wird es ein anderes Pflegeverständnis geben. Neue Konzepte bringen nichts, wenn weiterhin das Personal für gute Arbeit und gute Pflege fehlen.“

Schlechte Arbeitsbedingungen durch Personalmangel führen zu noch weniger Personal. Denn wer unzufrieden ist, der sucht sich oft einen anderen Beruf. Und das in einer Zeit, in der der Pflegebedarf immer weiter steigt. Jede zweite Mitarbeiter*in ist unzufrieden und mehr als ein Drittel der Pflegekräfte wollen ihren Beruf verlassen. Auf einem Plakat mit der Frage „Heute schon Pause gemacht?“ antwortet ein Pfleger: „Nein. Ist aber nicht schlimm. Hab ja noch nichts getrunken. Also brauch ich auch nicht pinkeln“.

Da die Bundesregierung allein auf Pflegestellenförderprogramme setzt, verschärft sie die Situation. Es ist paradox: Am stärksten profitieren dabei die Einrichtungen, die am meisten Pflegepersonal abgebaut haben. Zudem reicht das Geld nur für ein Dreißigstel der benötigten Stellen. Nur durch verbindliche gesetzliche und sanktionierbare Vorgaben kann eine bedarfsdeckende Personalausstattung garantiert werden. „Freiwillige Selbstverpflichtungen verändern nichts“, erklärte Professor Stegmüller anhand internationaler Erfahrungen und ergänzte: „Wir brauchen eine gesetzlich festgelegte Fachkraftquote.“ Denn die Delegation pflegerischer Arbeit an geringer Qualifizierte wertet Pflegearbeit ab, senkt die Pflegequalität, gefährdet die Gesundheit der Pflegekräfte und produziert lebensgefährliche Situationen. Private Pflegeheimbetreiber sehen das anders: Sie wollen wenig anspruchsvolle Leistungen in einen zweijährigen Ausbildungsberuf verlagern. Das begründen sie so: Die Assistentinnen und Assistenten müssen dann bei Vollzeitarbeit keine Hartz-IV-Leistungen beziehen. Wie gnädig!

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und die Gewerkschaft ver.di forderten wie die LINKE Sofortmaßnahmen und neue Finanzierungsgrundlagen. Hohe Einkommen sollen endlich entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit in die Sozialkassen einzahlen. Durch eine solidarische Pflegeversicherung wäre genug Geld da, um die geforderten Verbesserungen zu finanzieren.