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Politik der Gewalt

Im Wortlaut von Wolfgang Gehrcke,

 

Gewalt, Plünderungen und Brandstiftungen in England haben die Menschen vielerorts aufgeschreckt.  Nun wird viel über die soziale Verwahrlosung der Jugend gesprochen. Diese ist allerdings eine Konsequenz aus einem neoliberalen Gesellschaftsverständnis, das ein funktionierendes Gemeinwesen zugunsten von Profitmaximierung opfert.

Die Unruhen in England haben Ursachen. Es gab – wie bei vergangenen Unruhen in Paris oder Los Angeles – auch hier den Funken, der das Fass zum überlaufen brachte: In London war dieser Funke der Tod Marc Duggans, einem farbigen jungen Mann, durch eine Polizeikugel. Auf einer Demonstration, in der Aufklärung über den Tod Duggans gefordert wurde, entzündete sich aus unbekannten Gründen ein Flächenbrand, der große Teile Englands erfasste. Spannungen, die sich in zahlreichen ähnlichen Zwischenfällen in der Vergangenheit aufgeladen haben, entluden sich dabei eruptionsartig. Und diese Spannungen wachsen weiter, wenn Versäumnisse der Sozialpolitik durch staatliche Gewalt und missbräuchliche Verwendung von Anti-Terror-Gesetzgebung gelöst werden sollen.

Das Anzünden von Wohnhäusern, die Plünderungen von lokalen Geschäften und die Gewalt gegen Passanten, die in England zu beobachten waren, sind Ausdruck eines antisozialen Verhaltens. Dieses Verhalten ist aber eben auch eine Folge einer antisozialen Politik. Eine Politik der Gewalt gegenüber Menschen ohne Perspektive und ohne die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe. Die ökonomische, kulturelle und soziale Marginalisierung ganzer Stadtviertel zerstört auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und wenn dies für England gilt, dann ebenso für die anderen Staaten Europas, in denen durch den Rückbau des Gemeinwesens der soziale Friede aufs Spiel gesetzt wird. 

Viele Londoner möchten nun durch ihre symbolischen Reaktionen auf die Ausschreitungen, indem sie die verursachten Schäden in einer gemeinsamen Straßenfeger-Aktion beseitigen, ein höchst soziales Verhalten demonstrieren. Hier soll ein scheinbar noch intaktes Gemeinwesen vorgeführt werden. Doch diese Reaktion jener, die noch nicht alles verloren haben und die nicht mit dem täglichen, institutionalisierten Rassismus konfrontiert sind, wird die, die nichts mehr zu verlieren haben, wenig beeindrucken. Die Entstehung von Bürgerwehren und der Versuch von Rechtsextremen, aus den Ausschreitungen Profit zu schlagen, lassen vielmehr befürchten, dass in Zukunft Spannungen innerhalb der Gesellschaft zunehmen werden. Durch eine Aburteilung von Straftätern im Eilverfahren werden diese Probleme langfristig sicherlich nicht gelöst.

Nur wenn langfristig Armut und Arbeitslosigkeit bekämpft werden und eine echte Integration aller Mitglieder der Gesellschaft angestrebt wird, können schlimmere Folgen verhindert werden. Dies gilt auch für die vielen anderen Staaten Westeuropas, in denen gegen die antisoziale, neoliberale Sparpolitik protestiert wird.

 

Von Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der Fraktion

www.linksfraktion.de, 12. August 2011