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Pharmakonzerne können weiter abkassieren

Im Wortlaut von Inge Höger,

Inge Hoeger (Linke) möchte im Gesundheitswesen auch die

Leistungserbringer unter Druck setzen

Zehn Jahre lang waren Sie bei der AOK als Sachbearbeiterin tätig. Ist das Gesundheitssystem reformierbar?

Wenn man sich an die solidarische paritätische Finanzierung hält und statt Arbeitslosigkeit und Mini- und Midijobs wieder sozialversicherungspflichtige Jobs schafft, ist das Gesundheitssystem ohne Probleme reformierbar.

Wo will die Große Koalition die Parität weiter einschränken?

Die Parität ist schon mit der letzten Gesundheitsreform ausgehöhlt worden. Den Arbeitnehmern sind 0,9 Prozent Eigenbetrag für Krankengeld und Zahnersatz auferlegt worden. Daran sind die Arbeitgeber nicht mehr beteiligt. Und nach der neuen Gesundheitsreform soll der Beitrag für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festgesetzt werden. Wenn die Kassen mit dem aus dem Gesundheitsfonds zugewiesenen Geld nicht klarkommen, dürfen sie zu Lasten der Versicherten einen Sonderbeitrag erheben. Dadurch wird die Parität weiter untergraben.

Falls die Krankenkassen mit dem Geld gut klarkommen, dürfen sie aber auch Nachlässe an die Versicherten weitergeben.

Ja, aber wozu führt denn der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen? Es wird die Jagd losgehen auf junge, gesunde Gutverdiener. Die Versicherungen werden hingegen versuchen, die Alten und Kranken loszuwerden.

Ist es nicht trotzdem sinnvoll, die Krankenkassen zu mehr Wirtschaftlichkeit anzuhalten?

Die Krankenkassen machen sicherlich nicht alles richtig, aber sie sind nicht das Hauptproblem im Gesundheitswesen. Wichtiger ist das Einnahmeproblem aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit. Außerdem traut sich diese Regierung genauso wenig wie die vorherige an die Leistungserbringer heran. Die Pharmakonzerne können weiter abkassieren. Die Ausgaben für Arzneien sind im letzten Jahr um 14 oder 16 Prozent gestiegen und Anfang 2006 schon wieder um 10 Prozent. Die Mehrwertsteuererhöhung wird die Preise nächstes Jahr um 900 Millionen Euro verteuern.

Wie wären denn die Pharmakonzerne unter Druck zu setzen?

Da hilft nur eine Positivliste, die für die Ärzte verbindlich ist. Wer ein Medikament will, das in der Positivliste nicht auftaucht, müsste es dann selber bezahlen.

Wo sehen Sie noch dringenden Reformbedarf?

Wir leisten uns in Deutschland als einzigem Land in Europa eine doppelte Facharztstruktur: einmal in den Krankenhäusern und dann noch bei den niedergelassenen Ärzten. Die Krankenhäuser müssten für die ambulante Versorgung geöffnet werden. Das hieße auch, keine neuen niedergelassenen Fachärzte mehr zuzulassen.

Wie möchte die _Linke_ das Defizit der Kassen beheben?

Man müsste wegen der zurückgehenden Lohnquote weitere Personen und Einkommen heranziehen, etwa Selbstständige und Beamte. Man müsste auch Beiträge auf Vermietungen, Verpachtungen und Zinsen erheben. Wir treten für die Bürgerversicherung ein.

Wie beurteilen Sie den Gesundheitsfonds, der 2008 die Arbeit aufnehmen soll?

Dieser Fonds ist ein Monster an Bürokratie. Das wird viel umständlicher als was derzeit die Krankenkassen leisten. Da wird eine neue Behörde aufgebaut, die vermutlich wie die Arbeitsgemeinschaften bei Hartz IV erst mal wieder ein Jahr braucht, bis das Computerprogramm funktioniert. Außerdem soll der Fonds Beiträge von den Arbeitgebern und den Versicherten einziehen. Das wird viel aufwändiger als heutzutage, jetzt werden einfach die Beiträge von den Arbeitgebern eingezogen. Außerdem sind in den Krankenkassen durch den Fonds rund 30.000 Arbeitsplätze in Gefahr. Es sei denn, die würden alle von der neuen Behörde übernommen werden.

Die Linke im Bundestag plant im Herbst eine Kampagne gegen die Gesundheitsreform der Großen Koalition. Mit Fachfrau und MdB Inge Hoeger aus Herford sprach Alexandra Jacobson.

Neue Westfälische Zeitung, 18. Juli 2006