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Pflegekräfte im Dauerstress

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Kleine Anfrage der Linksfraktion zu Mindeststandards für die Personalbemessung in Kliniken belegt Untätigkeit der Regierung

Die Lage in den Krankenhäusern in Deutschland spitzt sich zu. Täglich berichtet die Presse von unnötigen OPs, Personalmangel, Unterdeckung der Kosten, Investitionsstaus. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) ruft "Hilfe jetzt. Die Zeit läuft". Beschäftigte der Charité in Berlin streiten für eine Mindestbesetzung im Pflegedienst, denn in den Kliniken herrscht Burn-out Alarm.

Pflegekräfte versorgen immer mehr Patientinnen und Patienten in kürzerer Zeit und beziehen dabei einen geringeren Lohn. Insgesamt fehlen in den Krankenhäusern 162.000 Stellen, davon 70.000 Pflegekräfte (ver.di Pflegecheck). In Deutschland betreut ein Beschäftigter im Schnitt 21 Patienten, in Dänemark zehn, in Norwegen neun und in den USA acht. Die Versorgungsqualität ist nicht so gut, wie sie sein könnte mit einer angemessenen Personaldecke. Vermehrt kommt es zu Stürzen aus dem Krankenhausbett, Hygienebestimmungen werden unter Zeitdruck nur unzureichend befolgt, die Belastung durch multiresistente Keime ist nach wie vor lebensbedrohlich. Dass es nicht mehr dramatische Zwischenfälle gibt, liegt allein am Arbeitsethos und am Einsatz der Beschäftigten.

Bundesregierung leugnet Probleme

Vor diesem Hintergrund haben die Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Harald Weinberg, Diana Golze und der Fraktion DIE LINKE in einer Kleinen Anfrage (Drs. 17/12787) die Einschätzung der Bundesregierung zur Stellensituation im Pflegedienst der Krankenhäuser und Standards der Personalbemessung erfragt.

Die Bundesregierung leugnet in ihrer Antwort jegliche Probleme in der Krankenhauspflege. Ulrike Flach (FDP), parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), findet, es gäbe "keine belastbaren Erkenntnisse, die auf einen generellen Zusammenhang zwischen einer personellen Unterdeckung und daraus resultierenden Folgen für die Versorgung von Patientinnen und Patienten sowie für die gesundheitliche Situation von Pflegekräften schließen lässt". Betroffene Patientinnen und Patienten, aber auch Pflegekräfte schlagen seit Monaten Alarm. Doch Flach will nicht sehen, was nicht sein darf.

Damit legt die Bundesregierung fahrlässiges Verhalten gegenüber den Pflegekräften und Patienten in Krankenhäusern an den Tag. Nackte Fakten werden ignoriert und Lösungen wie eine bundesweite Mindestpersonalbemessung, die Gewerkschaften und Verbände fordern, boykottiert. Damit gefährdet die Bundesregierung die Sicherheit der Patientinnen und Patienten. Es muss nicht verwundern, dass mittlerweile vielerorts das Pflegepersonal hinter vorgehaltener Hand eingesteht, nicht selbst Patientin oder Patient im eigenen Krankenhaus sein zu wollen.

Tatsächlich gibt es belastbare Quellen für den Personalabbau und seine Folgen. Die Liste internationaler Studien zum Zusammenhang von Personalabbau und Behandlungsqualität ist lang. Der renommierte Hannoveraner Professor Michael Simon hat schon 2008 eine Studie zum Stellenabbau im Pflegedienst der Krankenhäuser vorgelegt, die diese Studien auswertet und eine Mindestpersonalbemessung vorschlägt. Professor Simon nimmt gemeinsam mit Klinik-Personal- und Betriebsräte teil am Hearing der Linksfraktion "Bessere Krankenhauspflege und gute Arbeitsbedingungen durch Mindestpersonalbemessung" im Clara-Zetkin-Saal, Reichstagsgebäude, Eingang West, 10117 Berlin am 26. April 2013, 11.00 – 15.30 Uhr.

"Man müsste blind sein"

Flachs Fraktionskollege Lars Lindemann (FDP) stimmte den LINKEN in der Debatte zum Antrag "Bessere Krankenhauspflege durch Mindestpersonalbemessung" (Drs. 17/12095) dagegen zu. Er gab am 14. März 2013 zu Protokoll: "Man müsste blind sein, wollte man nicht sehen, dass in der Tat die Qualität der Patientenversorgung unter Personalmangel leidet. Auch die Stichwörter von 'enormem wirtschaftlichen Druck' auf die Krankenhäuser und in dessen Folge 'unhaltbaren Zuständen', 'massiven Überstunden', 'gefährlicher Pflege' und 'lebensbedrohlichen Situationen' sind leider nicht nur rhetorische Übertreibung." Staatssekretärin Flach ist offensichtlich blind gegenüber den Realitäten im Krankenhaus oder sie will nichts sehen.

Nicht einmal die zur Verfügung gestellten Zahlen des Statistischen Bundesamtes wertet Flach aus. Sie belegen den Personalabbau (1991: 913.376; 2011: 896.288 – bei gestiegenen Fallzahlen). Sie zeigen den Abbau von Vollzeitstellen hin zur Teilzeitarbeit (1991: 234.582 TZ-Beschäftigte; 2011: 408.280) und sie belegen einen Rückgang seit der Einführung der Fallpauschalen ab 2003.

Die Bundesregierung sieht allein die einzelnen Krankenhäuser in der Pflicht, das sei die Folge des gewünschten Wettbewerbs. Eine gesetzliche Vorgabe "würde die Dispositionsmöglichkeiten der Krankenhäuser unangemessen einschränken". Kollege Lindemann sieht das anders: Es müsse mehr getan werden für die Personalausstattung der Krankenhäuser. "Außerdem müssen die Krankenhäuser endlich aus der fatalen Zwangslage befreit werden, ihre enormen Investitionsstaus und die daraus resultierenden Mehrkosten immer wieder durch Personaleinsparung gegenfinanzieren zu müssen." Personalabbau ist eine Folge der Einführung von Fallpauschalen in den Kliniken. Unter dem Druck des Wettbewerbs werden Personalkosten gesenkt, denn Personalkosten sind 80 Prozent der Kosten in den Krankenhäusern.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Fallpauschalen (DRGs) die Personalkosten korrekt abbilden. Fachleute bestreiten das. DRGs bilden linear steigende Ist-Kosten ab, keine Kostensprünge. Doch Personalkosten stellen einen Sonderfall dar, da sie sich nicht proportional zum Leistungsvolumen ändern, sondern nur in Intervallen, d.h. sprunghaft, angepasst werden können. Sie werden daher als "sprungfixe Kosten" bezeichnet. Jede neue Stelle führt zu einem plötzlichen Kostensprung. Mit der Finanzierung der Krankenhausleistungen über DRG wird für jeden Fall nur noch ein normierter Personalkostenanteil vergütet. Das bedeutet, der Erlös und nicht der Aufwand für die Einzelleistung bestimmen maßgeblich den Stellenplan – mit den bekannten verheerenden Folgen.

Die im Fallpauschalengesetz (FPG) vorgeschriebene Evaluation ist bisher unzureichend. Die Bundesregierung verweist auf den Gemeinsamen Bundesausschuss. Dieser sei zuständig. Nachgefragt und angemahnt wird nicht – aus gutem Grund, kämen doch die geleugneten Fakten ans Licht.

Ein Drittel der Kliniken mit roten Zahlen

Stattdessen werden die gleichen Fehler in der Psychiatrie wiederholt. "Der Personalbedarf wird unter Berücksichtigung der Patientenzahl je Behandlungsbereich auf Grundlage der Minutenwerte je Patient und Woche bestimmt", erklärt Staatssekretärin Flach. Fachleute und Verbände warnen: Das kann nicht funktionieren. Große Abweichungen sind in der Psychiatrie die Regel, eine Depression kann sechs Wochen oder sechs Monate behandlungsbedürftig sein. Diese geraten aus dem Blick. Die Fehler der DRG werden unter dem Dogma der Wirtschaftlichkeit wiederholt zu Lasten der Versorgungsqualität.

Das noch aus der Großen Koalition stammende "Pflege-Förderprogramm" habe von 2009 bis 2011 14.400 Stellen geschaffen. Das ist nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts von 162.000 fehlenden Stellen, das Programm ist weit hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben, denn ursprünglich sollten 21.000 neue Stellen, dann 17.000 geschaffen werden. Selbst die Zahl von 14.400 ist noch geprüft, es fehlen noch rund 6.000 Bestätigungen über das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses.

Immerhin gibt Staatssekretärin Flach endlich zu, dass ein Drittel der Kliniken rote Zahlen schrieb. Nur 70 Prozent haben das Jahr 2011 kostendeckend abgeschlossen. Wieder sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf. Zuständig sind Länder und Kommunen. Doch diese können ihren Verpflichtungen zur Finanzierung der Kosten von Krankenhausinvestitionen und Baumaßnahmen nur unzureichend nachkommen. Ursachen dafür liegen zum einen in der unzureichenden Bedarfsplanung als entscheidende Voraussetzung für Investitionsentscheidungen. Zum anderen lähmt die Steuerpolitik des Bundes, die die öffentlichen Haushalte der Länder und Kommunen in den letzten Jahren geradezu leer gefegt hat. Der daraus resultierende Investitionsstau wird auf 56 Milliarden Euro beziffert. Die Schuldenbremse wird das Problem weiter verschärfen.

Unter dem Druck der Öffentlichkeit hat die Bundesregierung kürzlich ein Eckpunkteprogramm zur Krankenhausfinanzeirung aufgelegt. Ein halbes Jahr vor der Wahl packt sie 880 Millionen EURO auf das Budget. Ein Taschenspielertrick, denn in den vergangenen zwei Jahren wurden den Krankenhäusern 920 Millionen Euro gekürzt. Krankenhauspolitik ist bei Schwarz-Gelb eine Nullnummer.

linksfraktion.de, 16. April 2013