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Pakt gegen Bürgerrechte

Im Wortlaut von Ulla Jelpke,

Von Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Einen „Pakt für den Rechtsstaat“ versprechen Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag. Tatsächlich kann man das Programm auch in den Worten zusammenfassen: Mehr Befugnisse für Polizei und Geheimdienste, weniger für die Bürger, und am allerwenigsten für Flüchtlinge.

Abnicken, Beobachten, Weiterführen

Über weite Strecken beschränkt sich der Koalitionsvertrag auf das bloße Abnicken bereits laufender Prozesse, manchmal sogar aufs reine Beobachten jenseits der Bundeszuständigkeit: Da wird massiver Personalaufbau für Justiz und Länderpolizeien versprochen, desgleichen ein „Musterpolizeigesetz“, das die Polizeibefugnisse in Bund und Ländern angleichen soll. Überlegungen, woher das Personal kommen soll, finden sich nicht, auch nicht dazu, vorhandenen Personalengpässen durch die Abschaffung obsoleter Straftatbestände (z. B. Legalisierung von Rauschmitteln) zu begegnen.

Weg vom Föderalismus, hin zu mehr Zentralstaatlichkeit

Die Verfassungsschutzgesetze sollen ebenfalls angeglichen werden, das Bundesamt zudem in seiner „Steuerungsfunktion“ gestärkt und zum zentralen Abhör-Dienstleister ausgebaut werden. Die Reise geht weg vom Föderalismus zu mehr Zentralstaatlichkeit. Die weitere Stärkung der Sicherheitsbehörden geht dabei nicht einher mit einer Stärkung ihrer parlamentarischen Kontrolle. Vorschläge der LINKEN, wenigstens über die Existenz des Verfassungsschutzes nachzudenken, der sich in der Vergangenheit oftmals mehr als Teil des Terror-Problems denn als dessen Lösung entpuppt hat, lässt die Koalition unbeachtet.

Aufrüstung wie für den Bürgerkrieg

Dazu passt die im Koalitionsvertrag beschlossene Aufrüstung der Bereitschaftspolizeien der Länder auch mit Bundesmitteln. Hier drückt sich der Trend aus, schweres Gerät anzuschaffen; schon lange werden ja aus „Sicherheitskreisen“ Maschinenpistolen und bürgerkriegstaugliche Panzerfahrzeuge gefordert. Die Sicherheitsbehörden werden nicht nur fitgemacht für umfangreiche Informationsbeschaffung, sondern auch für bürgerkriegsähnliche Einsätze gegen soziale Protestbewegungen.

Geheimdienstkontrolle? Fehlanzeige.

Ausgeweitet werden sollen auch die Tätigkeiten der Gemeinsamen Zentren, in denen Polizei- und Geheimdienstvertreter aus Bund und Ländern seit Jahren insbesondere im Kampf gegen „islamistischen Terrorismus“ zusammensitzen – was wegen des Trennungsgebotes von polizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit verfassungsrechtlich hoch problematisch ist. Die künftigen Regierungsparteien wollen die bisher noch eher lose Zusammenarbeit intensivieren, sodass „Informationen reibungsloser ausgetauscht und verbindliche Absprachen“ getroffen werden. Nun wäre es das Mindeste, die Zentren dann wenigstens auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen, damit Landesparlamente und Bundestag ein Mindestmaß an Kontrollmöglichkeiten hätten. Doch genau das ist natürlich nicht geplant. Die Zentren werden zur Quasi-Behörde ausgebaut, bleiben aber ein schwarzes Loch. Gleichzeitig wird auf EU-Ebene über einen zentralen Pool polizeilicher Datenbanken verhandelt, und auch hier werden Datenschutz und parlamentarische Kontrolle links liegen gelassen. Auf diese Weise wird Europa nicht demokratisiert, sondern verpolizeilicht.

Islamismusbekämpfung mit Nebelkerzen

„Wir werden den radikalen Islam in Deutschland zurückdrängen“, heißt es ebenso markig wie hohl. Selbst sinnvolle Vorschläge wie Präventionsprogramme werden vergiftet, wenn es direkt im Anschluss heißt: „Wir erwarten, dass Imame aus dem Ausland deutsch sprechen“. Als ob jeder schon deswegen verdächtig sei, weil er „ausländisch“ spricht, und als ob die deutsche Sprache an sich schon eine Garantie gegen Hasspredigten darstellte. Eine Abwägung mit der Religionsfreiheit, zu der ja auch die freie Wahl der Sprache gehört, die man fürs Gebet verwendet, findet gar nicht erst statt.

Flüchtlingspolitik aus dem Wunschkatalog der AfD

Besonders drastisch sind die vereinbarten Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik, die dem Wunschkatalog der AfD zu entspringen scheinen. So sollen sämtliche Asylsuchenden in Lager gesteckt werden, aus denen sie nur  herauskommen, wenn sie entweder eine „günstige Bleibeprognose“ haben – oder abgeschoben werden. Eine solche Quasi-Internierung von Schutzsuchenden kann bis zu 18 Monaten dauern, im Einzelfall auch länger. Die Verabredung zur „Obergrenze“ – eine Spanne von 180.000 bis 220.000 Flüchtlingen pro Jahr - bedeutet: Wie viele aus humanitären Gründen nach Deutschland kommen dürfen, hängt davon ab, wie viele Erstantragsteller in einem Jahr schon gekommen sind. Humanität wird auf eine simple Rechengröße reduziert. Das Recht auf Familiennachzug für Menschen mit subsidiärem Schutzstatus wurde schon abgeschafft, nur noch 1000 Menschen monatlich sollen per Gnadenerlass auf diesem Weg kommen dürfen.

Fluchtursachen bekämpfen – durch Aufrüstung?!

Regelrecht für dumm verkauft werden die Adressaten des Koalitionsvertrages beim Punkt „Fluchtursachen bekämpfen“. Da werden „faire Handelsabkommen“ versprochen, zu denen der Kapitalismus noch nie bereit war, sowie eine „restriktive Rüstungsexportpolitik“. Das letztere Versprechen wurde bereits gebrochen, wie die Einigung zu weiteren Waffenlieferungen an die Jemen-Kriegsstaaten deutlich zeigt. Im Zweifel wiegen die Interessen der heimischen Rüstungsindustrie und die „Verpflichtungen“ im EU- und NATO-Bündnis schwerer als diejenigen, gegen die sich die gelieferten Waffen letztlich richten.

All das ist mehr oder weniger nur die Fortsetzung der bisherigen Politik. Mit der Übernahme des nun zum „Heimatministerium“ erweiterten Innenministeriums durch Horst Seehofer (CSU) ist allerdings dafür gesorgt, dass der Ton schärfer wird.

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