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Pädagogik im Kriegsgebiet

Im Wortlaut von Norbert Müller,

Ein Kommentar zur Auslandsverwahrung von minderjährigen Jugendlichen

 

Von Norbert Müller, kinder- und jugendpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Inobhutnahmen sind Maßnahmen der Jugendämter zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in akut gefährdenden Situationen. Jugendämter nehmen Minderjährige auf eigenen Wunsch oder auf Grund von Hinweisen der Polizei oder von Erzieher*innen in Obhut und bringen sie in geeigneten Einrichtungen unter. Die Zahl der Inobhutnahmen, also die Herausnahme von Kindern und Jugendlichen aus ihren Familien und die zeitweise oder auch längere Unterbringung bei Pflegeeltern oder in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe, steigt seit dem Jahr 2005 deutlich an. Im Zeitraum zwischen 2005 und 2013 stiegen die Inobhutnahmen um 64 Prozent auf insgesamt 42.123 an. Die Gründe für diesen Anstieg sind vielfältig und reichen von Problemen mit den Eltern, über Suchtkontexte bis hin zu Gewalterfahrungen. Die Jugendämter geben sich trotz begrenzter personeller Kapazitäten alle Mühe, Kinder nicht leichtfertig oder zu Unrecht von ihren Familien zu trennen, auch wenn fehlerfreie Entscheidungen bei der professionellen Bewertung zwischenmenschlicher Beziehungen nie garantiert werden können. Im Zweifelsfall müssen die Familiengerichte entscheiden.

Jugendhilfestandards ausgehebelt

In bestimmten Fällen werden Kinder und Jugendliche zu sogenannten „erlebnispädagogischen Maßnahmen“ auf unbestimmte Zeit mit Hilfe privater Träger im Ausland untergebracht. Ein äußerst befremdliches Verfahren, da deutsche Jugendhilfestandards damit ausgehebelt werden. Eine qualifizierte pädagogische Betreuung, fachliche Therapie, eine Ausbildung oder gar Kontakt zu anderen Jugendlichen können nicht garantiert werden. Dies geschieht unter anderem in Nordrhein Westfalen über die beiden Träger „Stiftung Leuchtfeuer“ und „LIFE GmbH Bochum“. Beide machten erst kürzlich durch offensichtliche Vernachlässigung der Fürsorgepflicht gegenüber den ins Ausland verbrachten Jugendlichen medial Schlagzeilen. (u.a. ARD Bericht „Die Story im Ersten – Mit Kindern Kasse machen vom 23.02.15 sowie Monitor „Mit Kindern Kasse machen – Wie Heimkinder ins Ausland verbracht werden“ vom 30.04.15). 

Wenn aber, wie bei einem aktuellen Fall aus dem Rhein-Sieg-Kreis, ein*e Minderjährige*r nach Kirgisien geschickt wird, obwohl das Auswärtige Amt die Sicherheitslage dort als „nicht unproblematisch“ einschätzt und nach wie vor von „erlebnispädagogischen Maßnahmen in Kirgisistan abrät“, dann ist das nicht nur skandalös, sondern grob fahrlässig. Dies sind untragbare Zustände, die in keiner Weise dem Wohl der Jugendlichen dienen. Das Kreisjugendamt Rhein-Sieg kommt damit der Fürsorgepflicht gegenüber den in Obhut genommenen Kindern und Jugendlichen nicht nach.

Schlicht rechtswidrig

Als Kinder- und Jugendpolitischer Sprecher der Linksfraktion fordere ich daher, die Praxis der Auslandsverbringung von Jugendlichen zu beenden und alle Betroffenen umgehend zurück nach Deutschland zu bringen. Die Zusammenarbeit mit freien Trägern wie „Leuchtfeuer“ oder „LIFE“ ist zu beenden. Diese Praxis der Auslandsverbringung halte ich schlicht für rechtswidrig. Die hier in Rede stehenden Beispiele lassen weder funktionierende Hilfepläne erkennen noch sehe ich einen pädagogischen Wert darin, junge Menschen bspw. nach Kirgisien zu verschleppen. Die Fach- und Rechtsaufsicht des Landes NRW muss dringend ihrer Pflicht nachkommen und diese gefährliche Praxis unterbinden.

Und in Brandenburg? Der Deutsche Familienverband bescheinigt den Brandenburger Jugendämtern, gute Arbeit zu leisten und über ein positives Image zu verfügen. Eine Umfrage hatte ergeben, dass die Ämter weniger Kinder aus ihren Familien herausnehmen. So hat es 2014 in Ostprignitz-Ruppin bspw. bis November 84 Inobhutnahmen gegeben. 2013 waren es 115 und 2012 noch 144. Auch wenn die Arbeit gut zu sein scheint, werde ich gemeinsam mit der Landtagsfraktion die Arbeit der Jugendämter in Brandenburg unter die Lumpe nehmen um Zustände wie in NRW zu verhindern.
 

linksfraktion.de, 22. Juni 2015