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Opposition, solange der Kurs der anderen Parteien bleibt

Im Wortlaut von Lothar Bisky,

Lothar Bisky, Vorsitzender der Linkspartei, über seine »freudige Erwartung einer guten Zukunft der Linken«

Mit welchem Ergebnis für die Linkspartei haben Sie vor der Wahl gerechnet?
Ich habe 8 Prozent immer für ein sehr gutes Ergebnis gehalten, und alles darüber für phantastisch.

Das war die öffentliche Äußerung - und insgeheim, haben Sie an die anfangs prognostizierte Zweistelligkeit geglaubt?
Nein. Eine solche Zahl wurde im Moment der ersten Ankündigung einer gemeinsamen Kandidatur der Linken Ost und West platziert, sie konnte nur eine Momentaufnahme sein. Es war klar, dass mit dieser Prognose ein heftiger und teilweise bösartiger Kampf gegen uns einsetzen würde - was ja auch geschah. Die am Ende erreichten 8,7 Prozent haben meine Erwartung übertroffen und sind wirklich ein sehr gutes Ergebnis.

Das Gesamtergebnis kommentieren nun viele als Desaster, weil sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Gelb ohne Mehrheit sind und niemand momentan sicher ist, welche Regierung sich bilden wird. Sind Sie auch erschrocken?
Ja, aber nicht über das Ergebnis, sondern darüber, wie die großen Parteien und zum Teil auch die Medien mit Demokratie umgehen. Ergebnisse von Wahlen sind nun mal Ergebnisse von Wahlen und nicht von Wünschen oder Festlegungen. Es ist Aufgabe der gewählten Parteien, damit umzugehen. Es ist doch eine skurrile Annahme, dass nur eine der beiden großen Parteien oder eines von zwei »Lagern« mit deutlichem Abstand vor allen anderen liegen darf. Warum schreckt eigentlich die Vorstellung einer Minderheitsregierung? Das wäre doch eine Sternstunde der Demokratie gegen die übliche Akklamationsdemokratie, bei der im Vorhinein immer feststeht: die Regierung hat eine Mehrheit, sie kann im Parlament machen, was sie will.

Wagen Sie eine Prognose, welche Regierung sich bilden wird?
Das ist schwer zu sagen. Am wahrscheinlichsten scheint mir, dass es eine von der Union geführte Regierung sein wird, entweder mit der SPD oder mit der FDP und den erprobt wendefähigen Grünen.

Was sagen Sie zum Führungsanspruch von Schröder und der SPD?
Ich hielte Schröder für einen besseren Kanzler als Merkel. Aber was er und die SPD seit dem Wahlabend treiben - dieses »Ich bin Kanzler und ich bleibe Kanzler« - ist albern und teilweise widerlich. Die pfeifen auf Wahlergebnisse und treiben die demokratische Kultur in die Gosse.

Freut es Sie, dass die Linkspartei in dem ganzen Trubel keine Rolle spielt?
So ist es ja nicht. Wir tragen auch als Oppositionspartei eine Verantwortung. Für uns ist entscheidend, dass wir von Anfang an den Hoffungen gerecht werden, die mit uns verbunden sind.

Die Festlegung auf die Opposition steht für Sie nach wie vor außer Frage?
Ja. Der Kanzler wollte eine Entscheidung zu Hartz IV und Agenda 2010. Diese Politik ist abgewählt, und Schlimmeres - Schwarz-Gelb - erhielt keine Mehrheit. Solange dennoch alle den bisherigen Kurs fortsetzen wollen, sind wir Opposition. Wir werden nicht daran mitwirken, dass weiter von unten nach oben verteilt wird, statt umgekehrt.

Sie bedauern nicht, dass keine andere Partei mit Ihnen reden will?
Hier kommen zwei Dinge zusammen: Wir sehen derzeit keinen Partner für unsere Politik, und zugleich wird versucht, uns auszugrenzen. Unser Ergebnis bewegt sie ja nicht dazu, über eine Korrektur ihrer Politik nachzudenken. Sie wollen uns nicht in irgendeiner Koalition, und sie wollen uns eigentlich auch nicht als Opposition, es ärgert sie. Die Ausgrenzung zielt also auf die von uns vertretenen Inhalte und Vorschläge. Das kritisiere ich selbstverständlich, denn darin liegt eine unzumutbare himmlische Arroganz. Nur: Irgendwann werden sie sich daran gewöhnen müssen, dass es diese Linke im Bundestag gibt.

Sie akzeptieren nicht den Vorwurf, dass Sie sich mit Ihrer Entscheidung zur Opposition selbst aus dem Geschehen ausgrenzen?
Der Vorwurf ist völlig unberechtigt. Ich wiederhole, es geht um eine Frage: Wollen die anderen Parteien trotz dieses Ergebnisses die bisherige Politik fortsetzen oder wollen sie sie ändern? Es gibt kein einziges Signal für letzteres. Wir sind Opposition, solange der jetzige Kurs bleibt.

Statt auf eine Bewegung der anderen zu warten, könnte man ja auch umgekehrt formulieren: Wir reden gerne über Rot-Rot-Grün, wenn Ihr bereit seid, Hartz IV, die Agenda 2010 und die bewaffnete Außenpolitik in Frage zu stellen. Würde daraus nicht eine aktivere Rolle entstehen?
Unser Wahlprogramm liegt auf dem Tisch. Es ist ja nicht so, dass SPD und Grüne das nicht kennen. Das ist doch der Grund, weshalb sie völlig unabhängig davon, in welcher Variante wir unsere Position formulieren, mit uns kein Gespräch wollen. Natürlich reden wir gerne über unsere Vorschläge, mit allen. Was wir betonen ist: Wir vergessen nicht, was wir vor der Wahl gesagt haben. Wir müssen glaubwürdig bleiben.

Ist das Betonen von Glaubwürdigkeit manchmal eine Fessel in der Politik?
Für mich nicht. Unsere Wählerinnen und Wähler dürfen sich darauf verlassen, dass wir weiterhin die Politik ablehnen, gegen die wir im Wahlkampf angetreten sind. Zumal die anderen nur Kolonialgesten für uns übrig haben: Es gab schon erste Anfragen, ob wir nicht einfach den Kanzler mitwählen würden. Da sage ich: Nein.

Es gibt erste Meldungen, dass nicht alle in der künftigen Linksfraktion das genau so sehen.
Nicht alles, was in diesen Tagen zu lesen ist, stimmt. Wir haben mit unserem Programm einen klaren Auftrag. Ich gehe davon aus, dass alle sich daran halten.

Was nehmen Sie sich als erstes für die Opposition vor?
Dazu haben wir bereits ein 100-Tage-Programm vorgestellt. Wir werden als erstes Initiativen einbringen, um die sozialen Verwerfungen im Zusammenhang mit Hartz IV und der Agenda 2010 zu korrigieren. Wir werden den Mindestlohn auf die Tagesordnung setzen und den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan beantragen. Wir werden endlich die Stimme aus dem Osten und all derer, die gegen die Ungerechtigkeit aufschreien, wieder hörbar machen.

Ist das die Abarbeitung eines Pflichtenkatalogs oder rechnen Sie damit, dass Ihre Initiativen auch Abgeordnete anderer Parteien beeindrucken?
Aus einem Programm und Wahlversprechen folgen auch Pflichten, freudige Pflichten. Ob wir mit einzelnen Initiativen auch Zustimmung in der SPD oder anderswo erreichen können, weiß ich nicht - wir werden uns darum bemühen.

Haben Sie in den ersten Tagen der Wahl Signale aus den Reihen von SPD oder Grünen empfangen, die nicht Verärgerung über den linken Zuwachs im Parlament ausdrücken, sondern Bereitschaft zu Dialog und Kooperation?
Ja, aber darüber bin ich sehr schweigsam. Die Situation ist kompliziert und spannend genug, ich habe keine verbale Inkontinenz.

Mit welchen Konflikten rechnen Sie in der linken Fraktion?
Ich bin guter Hoffnung, dass es mehr Vernunft als Rechthaberei geben wird. Die Fraktion wird über eine Menge inhaltlicher Fragen noch diskutieren müssen: z. B. über flankierende Maßnahmen für den Mittelstand bei der Einführung eines Mindestlohns; z. B. darüber, wie Genossenschaften und andere wegen der steigenden Energiepreise entlastet werden können. Ich will damit sagen: Ich hoffe, dass wir uns lebhaft, auch kontrovers, aber ergebnisorientiert allen Fragen zuwenden, wo Menschen Hilfe erwarten.

Was erwarten Sie bei den übergeordneten Streitthemen: die Quotierung von Frauen und Männern, von Ost und West, wer übernimmt welche Ämter und Aufgaben?
Ich gehe nicht mit einem Kaderentwicklungsplan in diese Fraktion, sondern mit dem Willen, für alles vernünftige Lösungen zu finden. Wir haben eine Zusammenarbeit begonnen, die in den ersten Schritten erfolgreich war, das ist der Lernstoff für alles Weitere. Und Zusammenarbeit bedeutet immer auch die Bereitschaft, sich im Interesse des gemeinsam Vereinbarten zurückzunehmen. Dazu bin ich bereit und das erwarte ich auch von anderen. Niemand hat einen Anspruch auf irgendetwas.

Wünschen Sie sich eine harmonische Fraktion?
Ich bin nicht harmoniebedürftig, ich bin es nicht mehr. Wir haben eine ungeheure Verantwortung, Hoffnungen nicht zu enttäuschen. Über Schwierigkeiten weiß jeder, der uns gewählt hat, Bescheid; von uns werden Lösungen erwartet. Sollte jemand das nicht in den Vordergrund stellen, sondern lieber Waden beißen und sich raufen wollen, dem sage ich: Ab jetzt raufe ich mit, damit dieses erfolgreich begonnene Projekt nicht durch Kleingeisterei kaputt gemacht wird. Linke Ich-AGs gibt es genügend im Land, die brauchen wir nicht in der Fraktion.

Haben Sie einen konkreten Anlass, dies so zu betonen?
Es gibt Zwischentexte, die mir nicht gefallen. Aber das ist auch alles, was ich in einem Interview dazu sage. Den Rest diskutiere ich intern. Jeder weiß, dass ich energisch für das Projekt streite, das wir begonnen haben: eine starke Linke in Deutschland.

Sind Sie zornig?
Nein, ich bin in freudiger Erwartung einer guten Zukunft für die Linke.

Bei Ihrer erneuten Wahl zum Vorsitzenden der PDS, als diese tief in einer Krise steckte, haben Sie gesagt: Wenn es mir gelingt, diese Partei in Fraktionsstärke in den Bundestag zurückzubringen, dann ist es wohlgetan. Nun ist es wohlgetan - wird damit auch Ihr Amt als Parteichef beendet sein?
Ich habe meinen Anteil eingebracht. Aber ich will jetzt nicht über Zeiträume reden, da etwas Neues hinzugekommen ist. Wir haben eine gemeinsame Fraktion der Ostund Westlinken, aber wir müssen die Linkspartei noch entwickeln. Daran liegt mir und dafür stehe ich zur Verfügung. Das muss nicht zwangsläufig als Vorsitzender sein.

Es wäre aber eine Verlockung, doch länger als ursprünglich Parteivorsitzender zu bleiben?
Es gibt einen gewissen Druck, und ich räume ein, dass ich nicht abgeneigt bin, dem zu folgen. Wenn ich sage, dass ich alle für das Projekt der Linkspartei in die Pflicht nehmen will, dann gilt das auch für mich selbst. Aber wer Vorsitzender ist, entscheidet der Parteitag.

Ein großer Teil der führenden Persönlichkeiten der Linkspartei wie der WASG sitzt nun im Bundestag. Werden beide Parteien zukünftig aus der Fraktion heraus geleitet? Und mit welcher Kraft und Zeit?
Was mich betrifft, so war ich bislang im Landtag Brandenburg. Da galt es ebenso, für beides Zeit und Kraft zu finden. Natürlich bringt die Tatsache, dass wir in solcher Stärke in den Bundestag einziehen, auch Probleme und Risiken für die Parteiarbeit mit sich. Ich möchte nicht, dass die Partei schwächer wird; ich möchte nicht, dass sie aus der Fraktion heraus regiert wird und die Parteigremien sich überflüssig vorkommen. Ich bin aber auch relativ gelassen, dass wir dies hinbekommen.

Die Fraktion wird dennoch zum Brennpunkt aller weiteren Entwicklung von Linkspartei und WASG werden, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung.
Das ist ja auch keineswegs nur schlecht, es kommt darauf an, welche Interaktion wir zwischen parlamentarischer und Parteiarbeit organisieren. In der Fraktion wird ein Großteil unseres geistigen Potenzials versammelt sein. Die Partei wird viele Impulse aus der Arbeit der Fraktion aufnehmen können. Aber: Wir werden uns irgendwann wieder zur Wahl stellen müssen, werden also in der außerparlamentarischen Arbeit nicht nachlassen dürfen, werden neue Leute in den Regionen entwickeln müssen - das alles wird die Partei, nicht die Fraktion in den Händen halten. Und die Partei ist reichlich mehr als die 54- köpfige Fraktion.

Einige Repräsentanten der Linkspartei, wie Stefan Liebich, sprechen jetzt davon, dass die Vereinigung von Linkspartei und WASG schneller kommen müsse als in zwei Jahren. Gregor Gysi meinte: die Wähler haben beide bereits vereinigt. Wann ist die Trauung?
Wir stehen unter einem Druck, das halte ich auch für gut. Dennoch bin ich dafür, wie bislang jeden nächsten Schritt sorgfältig zu überlegen, damit niemand zurückgelassen wird. Die Linkspartei ist eine große Organisation, auch mit Interessen und Verantwortung außerhalb dieser, etwa gegenüber der Rosa- Luxemburg-Stiftung. Als Vorsitzender der Linkspartei mache ich keine Vorgaben, wir haben einen Partner und ich halte daran fest, alles gemeinsam zu besprechen und zu vereinbaren - auf gleicher Augenhöhe und freundschaftlich.

Sie haben aber sicher einen eigenen Wunsch hinsichtlich des Zeitraumes.
Ja gut, ich sage: Wenn es schneller geht, dann macht es schneller, Genossen! Ruhetage in der Fusion sollten wir uns jedenfalls nicht genehmigen, das kann die jetzige Dynamik beeinträchtigen. Andererseits weiß ich aber auch, dass einige in der WASG fürchten, wir könnten es überhasten und dabei stolpern. Das nehme ich ernst. Niemand bei uns und in der WASG will, dass es scheitert.

Worin sehen Sie die Dynamik?
In den Herausforderungen, unter denen wir öffentlich stehen, und auch bei uns selbst. Wir sind im Wachsen begriffen, wir können gar nicht mehr jeden einzeln feiern, der zu uns stößt.

Wirbt die Linkspartei auch weiter im Westen oder überlässt sie es dort jetzt der WASG, die Reihen für die Fusion zu füllen?
Es gibt weder Konkurrenz noch eine Haltung, das erledigt schon der Partner. Wir betrachten den weiteren Aufbau der Linken längst als gemeinsame Aufgabe, im Westen wie im Osten. Jeder strengt sich an, das beizutragen, was ihm möglich ist.

Welche Aufgabe würde Ihnen persönlich im Bundestag am meisten Spaß machen?
Medienpolitik. Ich habe die Medien jetzt so lange studiert, bin über vieles verwundert und habe viele Fragen, die ich mir und anderen gerne beantworten möchte.

Interview: Gabriele Oertel und Jürgen Reents

Neues Deutschland, 23. September 2005