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Opposition mit voller Kraft

Interview der Woche von Gregor Gysi,

Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi fordert, dass DIE LINKE das Maß ihrer Selbstbeschäftigung auf ein Minimum reduziert und mit ganzer Kraft ihre Rolle als Korrekturfaktor und Motor für notwendige gesellschaftliche Veränderungen ausfüllt.

Die Fraktion hat ein turbulentes Halbjahr hinter sich: Gehen Sie als eine Fraktion in die Sommerpause?

Wir sind und wir bleiben eine Fraktion in dem Bewusstsein, dass wir dieses den über fünf Millionen Wählerinnen und Wählern der LINKEN schuldig sind, denn sie haben uns in der Erwartung gewählt, dass DIE LINKE ihre Interessen im Kampf für soziale Gerechtigkeit und eine friedliche Außenpolitik vertritt.

Waren die Probleme hausgemacht oder herbei geschrieben?

Herbei schreiben können die Medien nur etwas, wenn es einzelne Abgeordnete gibt, die ihnen die nötige Munition dafür liefern. Wir hatten in der Tat Auseinandersetzungen um den Nahostkonflikt, die aber durch zwei Beschlüsse der Fraktion beigelegt worden sind.

Warum stürzen sich die Medien mit solcher Begeisterung auf Konflikte bei der LINKEN?

Das ist ihr Job, und da die Wenigsten uns mögen, greifen sie tatsächliche oder vermeintliche Konflikte begierig auf, um ein altes Ressentiment medial zu verstärken: Die Linken verfolgen zwar gut klingende Ziele, aber sie streiten und zerlegen sich selbst.

Die Fraktion hat zwei Beschlüsse zum Reizthema Antisemitismus verabschiedet: Ist die Debatte damit beendet?

Die beiden Beschlüsse haben im Kern nichts mit Antisemitismus zu tun, der der LINKEN fälschlicherweise unterstellt wurde. Der Aufruf zum Boykott des Kaufs israelischer Waren, die Forderungen nach einer Ein-Staaten-Lösung und die Beteiligung an der jetzigen Gaza-Flottille sind ja nicht antisemitisch. Aber die deutsche Linke hat vor dem Hintergrund der Geschichte und des Holocaust eine besondere Verantwortung, muss besonders sensibel mit dem Nahostproblem umgehen und die Folgen mit bedenken, die Assoziationen hervorrufen können. Man denke nur an die Boykottforderungen, die von anderen Linken in anderen Ländern erhoben werden, aber bei uns sofort mit der Nazi-Parole "Kauft nicht bei Juden" verbunden werden.

Deutlich weniger Beachtung als die Auseinandersetzungen in Fraktion und Partei fand die inhaltliche Arbeit. Welche Bilanz können Sie für das vergangene Jahr ziehen?

Wir haben kontinuierlich den Kampf gegen die Agenda 2010, an der alle anderen Parteien im Kern festhalten, fortgesetzt, also den Kampf für die Überwindung von Hartz IV, gegen die Rente erst mit 67, die prekäre Beschäftigung und so weiter. Gleichzeitig haben wir neues Profil gewonnen im Kampf gegen die Euro- und Griechenlandkrise, denn wir sind die Einzigen, die gegen die rigorose und unsoziale, gesellschaftszerstörerische Auflagenpolitik der EU gegen Griechenland zum Zwecke der Sicherung der Bankenrenditen und für den Aufbau des Landes und eine geordnete Entschuldung eintreten, die nicht von den Banken diktiert wird.

Die Fraktion hat sich in der letzten regulären Fraktionssitzung auf eine neue Struktur verständig. Warum war die Veränderung nötig?

Es gab und gibt, übrigens strömungsübergreifend, bei vielen Abgeordneten den Wunsch nach einer Verkleinerung des etwas überdimensionierten Fraktionsvorstandes und einer politisch effektiveren Arbeitsweise. Die Fraktion hat sich auf neue Arbeitsstrukturen verständigt, die unter anderem eine Reduzierung der Arbeitskreise und eine Straffung der Vorstandstätigkeit vorsieht, die im kommendem Herbst umgesetzt werden sollen.

Wie will die Fraktion in Zukunft deutlich machen, dass es ohne sie keine tatsächliche Opposition im Bundestag gibt?

Das kann sie auch künftig nur, wenn sie das Maß ihrer Selbstbeschäftigung auf ein Minimum reduziert und mit ganzer Kraft ihre Oppositionsrolle, ihre Rolle als Korrekturfaktor und Motor für notwendige gesellschaftliche Veränderungen ausfüllt und den Kampf gegen die Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistankrieg, gegen die Dominanz der Banken in der Eurokrise, gegen soziale Ungerechtigkeit, für bessere Bildung, für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, für höhere Renten und eine Lohn- und Rentenangleichung Ost an West konsequent fortsetzt.

SPD und Grüne verfahren weiter nach dem Motto "Links blinken, rechts abbiegen" und sind damit erstaunlich erfolgreich. Welche Strategie stellt DIE LINKE dagegen?

Wenn SPD und Grüne wenigstens links blinken würden – aber sie tun ja kaum einmal das. Die SPD macht bisher deutlich, dass ihre Protagonisten Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier an ihrer Schröder'schen Agenda 2010 festhalten. Wäre es nach SPD und Grünen gegangen, wäre die Bundeswehr beim Kriegseinsatz gegen Libyen mit dabei. Und die Grünen, die von der Atomkatastrophe in Fukushima profitieren, weil ihnen in hohem Maße ihre Gegnerschaft zur Atomenergie zugesprochen wird, schauen inzwischen nach allen Seiten, entwickeln sich zur grüneren FDP und repräsentieren in stärkerem Maße einen Teil des gut situierten, wohlhabenderen Bürgertums. Demgegenüber ist und bleibt es die zentrale Aufgabe und Funktion der LINKEN, Druck auf diese Parteien nach deutlichen sozialen Korrekturen und einer friedlichen Außenpolitik auszuüben.

Mit welche Themen geht die Fraktion ins nächste Parlamentsjahr?

Es sind die genannten sozialen Fragen, der Kampf gegen Armut und für bessere Bildung, aber darüber hinaus wird sich, wenn sich die herrschende Politik diesbezüglich nicht ändert, die Euro-Griechenland-Krise weiter zuspitzen. Hier trägt DIE LINKE eine besondere Verantwortung.

linksfraktion.de, 11. Juli 2011