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Ohne Zwei-Staaten Lösung kein Frieden

Im Wortlaut von Heike Hänsel,

Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel über Israels Verantwortung im neu eskalierten Konflikt

Heike Hänsel ist Bundestagsabgeordnete der Linken und sitzt im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Durch Entwicklungszusammenarbeit soll auch das Konfliktpotenzial im Nahen Osten verringert werden.
Letzte Woche bereiste sie Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete. Die Abgeordnete sprach mit israelischen und palästinensischen Politikern sowie Vertretern von Friedensgruppen. Über ihre Einschätzung der aktuellen Lage im Nahen Osten sprach mit ihr für ND Ina Beyer.

ND: Welche Alternativen hätte Israel zu den Reaktionen im Gaza-Streifen und gegen Libanon gehabt?

Hänsel: Die Hisbollah hat die Angriffe auf Nordisrael gewissermaßen inszeniert, um Chaos zu stiften, damit sie die israelischen Soldaten entführen kann. Solche Versuche gab es öfters in den letzten Jahren. Diesmal ist es aber zum ersten Mal geglückt. Hätte Israel keinen Angriff auf Libanon geplant, sondern wäre es wirklich Ziel gewesen, die israelischen Soldaten zurückzubekommen, wäre eine Verhandlungslösung mit Einschaltung Dritter möglich gewesen. Ministerpräsident Ehud Olmert hat dagegen vom ersten Moment an Verhandlungen abgelehnt.
Immer wieder wird dasselbe Argument bemüht: Man müsse den Druck erhöhen, um Stärke zu demonstrieren, und so die Angreifer in die Knie zu zwingen. Olmert wollte auch nicht mit der Hamas verhandeln, nachdem diese die Wahlen gewann. Er äußerte gleich zu Beginn, dass es keine Zugeständnisse an eine terroristische Regierung geben werde.

Olmert hält dagegen, dass nur die israelische Seite kritisiert werde, nicht aber, dass auch die Palästinenser mit Raketen auf Israel schießen. Wie bewerten Sie die Argumentation?

Dies ist kein symmetrischer Konflikt, in dem zwei Staaten mit gleicher Kraft gegeneinander kämpfen. Israel ist militärisch weit überlegen. Im Gaza-Streifen wurde ein großer Teil der Infrastruktur bombardiert, was die Menschen dort ihrer Lebensgrundlagen beraubt. Die Situation ist bedrohlich, es gibt keinen Strom und vieles muss über Hilfsmittel besorgt werden. Die Grenzübergänge sind geschlossen.
Eben auch wegen dieser Überlegenheit sind die Angriffe auf Libanon absolut inakzeptabel. Die Internationale Gemeinschaft hat allerdings versäumt, Entwicklungen innerhalb Libanons entgegenzuwirken, wo die Hisbollah-Milizen eine ganze Region im Süden kontrollieren. Es fehlt an internationaler Verantwortung. Zudem an Kräften: Die USA sind derzeit mit Irak beschäftigt, wir »kümmern« uns um Kongo. Die zunehmende Stärke der Hisbollah ist für Israel ein unhaltbarer Zustand. In meinen Augen fehlt es für die Region an einer politischen Perspektive.

Gibt es überhaupt noch eine Chance für die Zwei-Staaten-Lösung?

Derzeit wird vor allem über einseitige Entscheidungen bei der Grenzziehung gesprochen. Aber ohne Verhandlungen über den Rückzug aus den besetzten Gebieten und darüber, wo die Grenzen danach verlaufen, sind neue Konflikte mit den Palästinensern programmiert. Die Spirale der Gewalt wird sich also vermutlich weiterdrehen.
Alle wissen, dass sich der Konflikt ohne Zwei-Staaten-Lösung nicht beilegen lässt. Israel wird seine Bevölkerung ohne eine gerechte Lösung, die auch die Palästinenser einschließt, nicht schützen können. Ich denke, das israelische Staatsgebiet in den Grenzen von 1967 muss als Verhandlungsoption wieder auf den Tisch. Derzeit wird diese Möglichkeit allerdings überhaupt nicht anvisiert. Verhandlungen sind in weite Ferne gerückt.

Die USA stehen zu der Stärkeposition, die Israel aufrechtzuerhalten sucht, und haben in der Vergangenheit immer wieder Resolutionen gegen Israel durch ihr Veto blockiert. Welche Kritik kann man von außen angesichts dieser Differenzen gemeinsam äußern?

Es ist schon fast traditionell: Die USA haben bisher fast jede Resolution gegen Israel durch ihr Veto verhindert. In der jetzigen Situation ist es schwierig, Israel umfassend zu kritisieren, da wie gesagt die Hisbollah durch ihre Provokationen den Konflikt initiiert hat. Auf der anderen Seite gibt es Übereinstimmung, dass die Unverhältnismäßigkeit der israelischen Reaktion - die Bombardierungen ganzer Regionen, die viele Opfer unter der Zivilbevölkerung fordert, die Zerstörung der Infrastruktur - gegen internationales Recht verstößt. Israel muss sich wie jeder andere Staat an internationales Recht halten. Dazu ist Druck von außen nötig. Der Krieg führt für Israel nirgendwohin.

Für wie realistisch hielten Sie es, dass durch internationalen Druck die Militäroffensiven gestoppt werden können?

Nur mit dem erhobenen Zeigefinger wird man nicht viel ausrichten können. Trotzdem muss man diesen Druck von außen aufrecht erhalten. Man kann im Grunde nur aufzeigen, dass auch Israel langfristig einen hohen Preis zahlt, wenn es seinen harten Kurs durchzieht. Ob Israel allerdings auf diesen Druck reagiert, ist eine andere Frage. Militärische Lösungen sind aber keine Lösungen für den Konflikt.

Neues Deutschland, 17. Juli 2006