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»Ohne feste Quoten tut sich nichts«

Interview der Woche von Cornelia Möhring,

Foto: Uwe Steinert

 

 

Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über die Kampagne von Alice Schwarzer zum Verbot von Prostitution, die Funktion der Quotierung, Hinterlassenschaften der gescheiterten Frauenministerin Schröder und gleichstellungspolitische Herausforderungen an DIE LINKE

 

Wenn man Alice Schwarzer Glauben schenkt, ist DIE LINKE von Lobbyisten der Frauenhändler unterwandert. Schließlich hat die PDS sich 2002 dafür stark gemacht, dass Prostitution als legales Gewerbe anerkannt wurde und für ein entsprechendes Gesetz gestimmt. Dieses Gesetz trage die „Handschrift der Frauenhändler und ihrer LobbyistInnen“, meint Schwarzer jetzt elf Jahre später.

Cornelia Möhring: Hier muss die Arbeit von allen Prostitutierten und deren berechtigte Forderungen nach Anerkennung, ordentlicher Bezahlung, Krankenversicherung vom politischen Willen, zugleich existierende Systeme der Zwangs- und Armutsprostitution abzuschaffen, abgegrenzt werden. Dies in einer schwierigen Debatte in einen Topf zu werfen, wie es Alice Schwarzer tut, würde bei erneutem Verbot der Prostitution auch zu einer erneuten Kriminalisierung der Sexarbeiterinnen führen. Das ist keine Lösung. Es gibt zum einen eigenständig und selbstbestimmt arbeitende Sexarbeiterinnen und -arbeiter, für die die Legalisierung eine verbesserte Grundlage ihrer Dienstleistung ist. Und das haben wir, ihre Stimme in die anstehenden politischen Lösungsprozesse einbeziehend, festzuhalten.
DIE LINKE, wie auch früher die PDS, setzt sich natürlich vehement für Opferschutz und gegen Menschenhandel ein, für medizinische Hilfe und den Zugang zu Sprachunterricht, Ausbildung und für einen entsprechenden gesicherten Aufenthaltsstatus der Opfer. Schwarzer vermischt hier Themen, deren jeweils negative Folgen und Wirkungen mit völlig unterschiedlichen Maßnahmen bekämpft werden müssen.

Also teilen Sie vermutlich auch nicht Schwarzers Einschätzung, dass Deutschland „zu Europas Drehscheibe für Frauenhandel und zum Paradies der Sextouristen aus den Nachbarländern geworden“ ist. Oder?

Die Ergebnisse von Erhebungen, die Daten- und Faktenlage ist uneinheitlich und nicht einfach, da sie auch interessengeleitet entstehen. Nur darf dies nicht dazu führen, dass die dringende Bekämpfung des Menschenhandels zum Vorwand genommen wird, eine Verschärfung des Prostitutionsgesetzes zu erreichen, die die Sexarbeiterinnen erneut stigmatisiert und weiter diskriminiert. Die Lage der Opfer von Armuts- und Zwangsprostitution ist besorgniserregend. Hier muss die Bundesrepublik endlich ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen. Besorgniserregend finde ich auch, wenn sich die Anzahl der Studentinnen erhöht, die der Sexarbeit nachgehen, weil sie sich das Studium nicht anders leisten können oder wenn Sexarbeiterinnen und -arbeiter gerne aussteigen würden, aber keine Ausbildungsplätze in anerkannten Berufen bekommen. Hier stehen dann aber eher Verbesserungen der sozialen Lage und keine Verbote an.

Was sagen denn die Sexarbeiterinnen selbst dazu, mit denen Sie sicher weiterhin intensiv im Gespräch sind?

Viele wehren sich gegen eine Verschärfung des Prostitutionsgesetzes, fordern zugleich ihre Lage verbessernde Veränderungen und eine verbindlichere Umsetzung des Gesetzes in den Ländern. Ich begrüße daher, die Gründung des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen durch Sexarbeiterinnen und -arbeiter, mit dem die Politik in einen Austausch treten muss.

Sind mit Frau Schwarzer einfach nur mal die Pferde durchgegangen oder treten beim Thema Prostitution doch tiefer liegende Differenzen innerhalb der Frauenbewegung zutage?

Das ist ein umstrittenes Thema, nicht nur in der Frauenbewegung. Wer die Spiegelkommentare zum französischen Manifest der Freier mal nachliest, bekommt einen zum Teil erschütternden Eindruck, wie viel Sexismus und wenig bearbeitete Debatte da durch den Alltag geistern. Es geht ja immerhin um die Verfügung über Körper, um Macht und Unterdrückungsverhältnisse. Bei Schwarzer geht es dann ganz konkret wohl auch um eine Werbetour in eigener Sache. Und diese Art "meine Sicht ist die einzige richtige und alle anderen haben es auch so zu sehen" eignet sich bei dieser Thematik nun gar nicht für Problemlösungen.

Kommen wir von einer verhältnismäßig kleinen Gruppe Frauen zu einer wahrscheinlich noch kleineren - zu Frauen in Aufsichtsräten. Das Europaparlament hat gerade die Einführung einer Frauenquote von 40 Prozent in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen bis 2020 auf den Weg gebracht. Ohne Quotierungen geht anscheinend in puncto Gleichstellung von Frauen noch immer nichts.

Es handelt sich wirklich um eine relativ kleine Gruppe. Dennoch hat die Quote für Frauen in Führungspositionen einen Symbolcharakter. Die letzten Jahre haben gezeigt: Freiwilligkeit führt nicht zum gewünschten Ergebnis. Ohne feste Quoten tut sich nichts. Nicht in Führungspositionen der Wirtschaft oder in Hochschulen, auch nicht in öffentlichen Betrieben oder in Parteien.

Welches wird die erste gleichstellungspolitische Initiative der LINKEN in der neuen Wahlperiode werden?

Wir brauchen mehr als Gleichstellungspolitik, gerade weil eine gerechte Beteiligung von Frauen an der Gestaltung des Lebens durch höchst lebendige Traditionen des Patriarchats, also eine tatsächliche Gleichberechtigung, noch immer verhindert wird. Das feministische Herangehen an Politik ist komplex und der Abstimmungsbedarf mit Arbeitskreisen und Fachpolitikerinnen und -politikern – von der Steuerpolitik bis zur internationalen Konfliktprävention – ist entsprechend hoch. Aktuell gehören sofort wieder die Finanzierung von Frauenhäusern und die Garantie von Schutzräumen auf die Tagesordnung. Unsere Forderung nach einem Verbandsklagerecht, dass im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz bisher fehlt, um unter anderem Frauenrechte gerichtlich effektiver durchzusetzen, anstatt jede und jeden in kostspielige Einzelaktionen zu zwingen, liegt ebenfalls oben auf. Wir werden uns den Ein-Eltern-Familien zuwenden, umgangssprachlich den Alleinerziehenden, die zu 90 Prozent Frauen sind. Hier geht es um handfeste Vorschläge, ihre schwierigen sozialen Lagen zu verbessern.

Und das sind sicher nicht die einzigen Baustellen, die die gescheiterte Frauenministerin Schröder hinterlässt.

Leider nicht. Und ich befürchte überdies, dass die Große Koalition sich nicht wirklich unterscheiden wird. Die halbherzigen Verhandlungsergebnisse der Arbeitsgruppen lassen das vermuten. Betreuungsgeld – Sache der Länder, Quote vielleicht doch flexi, Vereinbarkeitsfragen – unter Finanzierungsvorbehalt, eigenständige Existenzsicherung und armutsfeste Renten – Pustekuchen. Da kommt auf uns, als Opposition, allerhand zu.  

Rein statistisch lebt DIE LINKE Gleichstellung vor: Von 64 Abgeordneten in der Fraktion sind 36 Frauen. Von 14 Mitgliedern des Fraktionsvorstandes sind 8 Frauen.

Darauf sind wir wirklich stolz. Wir haben den höchsten Frauenanteil der Fraktionen im Bundestag. Ob es ohne die angesprochene Quote so wäre, wage ich aber zu bezweifeln. Doch es geht – wie bei der Quote – nicht um Zahlen und dass dann Frauen auch mal "ihren Mann stehen" und gut ist. Aus diesem Grund prüfen wir unsere parlamentarischen Initiativen daraufhin, wie sie sich auf die Lebenslage von Frauen auswirken. Wir schauen danach, wie die Verhältnisse gerechter werden, Bezahlung, Sorgearbeit und Freizeit zwischen den Geschlechtern gerechter verteilt werden, damit sich für Frauen und Männer grundsätzlich etwas ändert. Ein echtes Pfund unserer Fraktion sind die Strukturen, die wir mit dem Frauenplenum und dem Bereich Frauenpolitik geschaffen haben. Aber, wie sagte Grete Nestor: "Die größte Gefahr für die Gleichstellung, ist der Mythos – wir hätten sie schon." Es gibt also auch intern noch viel zu tun.

linksfraktion.de, 4. November 2013