Seit Jahren versuchen deutsche Bundesregierungen mit allen Mitteln, eine Debatte über Entschädigungszahlungen für Verbrechen der deutschen Wehrmacht in Griechenland abzuwehren. Berlin blockt – gleich ob unter Rot-Grün oder Großer Koalition – alle Forderungen von den noch lebenden Zeugen der Massaker ab, lässt jüngst die Verbalnote der griechischen Regierung ins Leere laufen und verweigert sich einer juristischen Klärung. Am Mittwochabend zog ein Fachgespräch der Fraktion DIE LINKE im Bundestag eine Zwischenbilanz. Deren Fazit: Auch wenn der Kampf zäh ist, hat die Debatte aus dem Parlament und von zivilgesellschaftlicher Ebene das Bewusstsein dafür geschaffen, dass eine Lösung überfällig ist.
Heike Hänsel, die an den Gedenkfeierlichkeiten in Distomo und in Viannos auf Kreta teilgenommen hatte, begrüßte die Gäste aus diesen Orten. In Distomo, dem kleinen Ort bei Delphi, hatte eine SS-Kompanie am 10. Juni 1944 alle vorgefundenen 218 EinwohnerInnen ermordet, darunter 34 Kinder im Alter von einem bis zehn Jahren. "Jeder, der die Orte solcher Massaker besucht, kann nur ansatzweise einen Eindruck von der Dimension dieser Verbrechen bekommen", so Hänsel. "Es geht hier um Gerechtigkeit. Da kaum deutsche Täter dieser Verbrechen bestraft wurden, sind die Reparationsforderungen der einzige Weg, um für Gerechtigkeit kämpfen zu können. Die Fraktion DIE LINKE hat daher die Initiative zu dem Fachgespräch ergriffen, als die letzte griechische Regierung der Bundesregierung eine Verbalnote hat zukommen lassen, um das Thema wieder aufzugreifen."
Wichtiges Erinnern an die Verbrechen der Wehrmacht
Giannis Stathás, der Bürgermeister von Distomo, betonte die Bedeutung einer Veranstaltung im Reichstagsgebäude. "Die Erinnerung an die Verbrechen der Wehrmacht in Griechenland muss insbesondere in Zeiten der erstarkenden radikalen Rechten aufrechterhalten werden", sagte er. Stathás forderte neben umfassenden Entschädigungs- und Reparationszahlungen auch die Rückzahlung einer Zwangsanleihe, die Nazi-Deutschland damals nicht vollständig an die griechische Zentralbank zurückgezahlt hat sowie die Rückgabe gestohlener archäologischer Güter. Auch eine individuelle Opferentschädigung müsse verhandelt werden. Eindrücklich berichtete er über seine Kindheit in Distomo. "Die Frauen trugen nur schwarz. Sie kauften bunte Kleider und färbten sie gemeinsam schwarz. Als ich zum ersten Mal in ein anderes Dorf fuhr, konnte ich es nicht glauben, dass Frauen auch andere Farben trugen."
Der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech schlüsselte die drei großen offenen Streithemen zwischen Deutschland und Griechenland auf. Es gehe erstens um Reparationszahlungen. Daneben würden Privatforderungen von Nazi-Opfern erhoben und schließlich gehe es um eine Nazi-Zwangsanleihe. Paech zitiert Artikel 3 der Haager Landkriegsordnung, in der es recht simpel heißt: "Die Kriegspartei, welche die Bestimmungen der bezeichneten Ordnung verletzen sollte, ist gegebenen Falles zum Schadensersatze verpflichtet."
Massentötungen, Plünderung und Zerstörung griechischer Dörfer
Die Dimension der Verbrechen der Wehrmacht zwischen 1941 und 1944 rief Aristomenis Syngelakis, Co-Generalsekretär des griechischen Nationalrats für Entschädigungs- und Reparationsforderungen gegenüber Deutschland, in Erinnerung. Nachdem die griechische Zivilbevölkerung zunächst ausgehungert wurde, seien die Nazi-Besatzer schnell zu Massentötungen von Zivilisten und zur Plünderung und völligen Zerstörung griechischer Dörfer übergegangen. "1.770 Dörfer wurden niedergebrannt, 40.000 Zivilisten hingerichtet. Die jüdische Gemeinde Griechenlands wurde ausgerottet; mehr als 50.000 Menschen starben in den Nazikrematorien von Auschwitz und Treblinka. Sie mussten sogar die Bahntickets für die Fahrt in den Tod bezahlen", so Syngelakis. Der Verwaltungsoffizier der Heeresgruppe E, Max Merten, erpresste zudem Lösegeld, um die griechische Juden vor dem Tod zu retten – und lies sie dann trotzdem ermorden. "Das demokratische Deutschland hat weder dieses Lösegeld noch das Geld für die Auschwitz-Tickets zurückgezahlt", so Syngelakis.
Diether Dehm von der Fraktion DIE LINKE nannte den westdeutschen Banker, Ehrenbürger der Stadt Frankfurt und Träger des Großen Verdienstkreuzes, Hermann Josef Abs, einen "Schwerstkriminellen", weil er – der schon den Auschwitz-Baukredit für die Nazis bewilligt und im Aufsichtsrat des Zyklon B-Herstellers I.G. Farben gesessen hatte – dann auch Griechenland beim Schuldenabkommen in London 1953 um jede Entschädigung geprellt hat. Zehn Prozent der griechischen Bevölkerung war in zwei Jahren deutscher Besatzung ums Leben gekommen, das Land verwüstet und mit einer Zwangsschuld ans Deutsche Reich belastet worden.
"Es geht uns darum, der Schlussstrichpolitik der Bundesregierung entgegenzutreten", sagte die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, die sich seit Jahren mit parlamentarischen Anfragen und Anträgen dafür eingesetzt hat, die Frage der Griechenlandentschädigungen auf die Agenda zu bringen. Natürlich müssten auch Entschädigung und Wiedergutmachung erreicht werden, „aber vor allem geht es um die Anerkennung der Opfer", so Jelpke. Bisher habe es aus Berlin unisono geheißen: "Alle Bundesregierungen seit 1949 waren sich ihrer Verantwortung gegenüber Opfern der NS-Gewaltherrschaft bewusst und haben sich nach Kräften und mit Erfolg bemüht, das Unrecht zu entschädigen." Diese Haltung sei unglaublich, so Jelpke, weil sie die zahlreichen ignorierten Opfer deutscher Verbrechen "ins Unrecht setze".
Verbrechen der Vergangenheit juristisch nie aufgearbeitet
"Deutschland hat die Verbrechen der Vergangenheit juristisch nie aufgearbeitet und will für diese Verbrechen nicht zahlen", sagte auch die Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, die sich im "Arbeitskreis Distomo" engagiert, einem interdisziplinären Zusammenschluss, der 2001 gegründet wurde, um die Forderung nach Entschädigung griechischer NS-Opfer durch Deutschland zu unterstützen. "Das ist eine Haltung, die Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft hat", betonte die Juristin: "Nach unserer Überzeugung ist sie einer der Gründe für das Wiedererstarken faschistischer Bewegungen in Deutschland und Europa." Denn die Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen und Reparationszahlungen sei nicht nur ein selbstverständlicher Akt von Gerechtigkeit, sie diene auch der Warnung an heutige Kriegstreiber: "Damit deutlich wird, dass der Schädiger – so mächtig er inzwischen sein mag – für das angerichtete Unrecht geradestehen muss." Auch nach mehr als 70 Jahren.