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Nieren auf Sonderwegen

Im Wortlaut,

Klinikskandale und Schnellverfahren mehren Zweifel an Organspendepraxis

Von Silvia Ottow

Immer mehr Organe gelangen im Schnellverfahren zu bedürftigen Patienten – begründet wird dies mit dem wachsenden Alter oder Krankheiten der Spender. Aktenfälschungen bei Organtransplantationen in einer Regensburger und einer Göttinger Klinik nähren aber den Verdacht, dass es dafür auch andere Gründe geben könnte.

Der Zeitpunkt könnte unpassender nicht sein. Gerade treten zwei neue Gesetze in Kraft, die dafür sorgen sollen, dass mehr Menschen ihre Organe zur Verfügung stellen, da kommen Informationen an die Öffentlichkeit, die Zweifel an der richtigen Reihenfolge der Organvergabe nähren. Immerhin sterben jedes Jahr 12 000 Menschen, weil es nicht genügend Organe gibt.

Ein Arzt soll Krankenakten gefälscht haben, um so die Vergabe eines benötigten Organs zu rechtfertigen. Darüber hinaus erregt die wachsende Zahl sogenannter Schnellverfahren Besorgnis, in denen rettende Lebern oder Nieren unter Umgehung der üblichen Wartelisten vergeben werden. Meist stammen diese von älteren Menschen mit Vorerkrankungen. Für dieses Verfahren gibt es spezielle Richtlinien der Bundesärztekammer. 2012 wurden 900 Mal Herz, Lunge, Niere, Leber oder Bauchspeicheldrüse per beschleunigter Vermittlung vergeben, geht aus einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervor. Das berichtete gestern die »Frankfurter Rundschau«.

Die Bundesregierung sollte die Vorkommnisse in den Transplantationszentren so schnell wie möglich überprüfen, sagte der Internist und ehemalige Leiter des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin, Peter Sawicki, dem »nd«. Sollte sich herausstellen, dass in einer wesentlichen Anzahl deutscher Transplantationskliniken Missbrauch betrieben wird, laufe grundsätzlich etwas schief und man brauche neue Gesetze.

Der Bundestag müsse sich in einer öffentlichen Ausschusssitzung mit sämtlichen Regelungen zur Organspende befassen, »nur so kann Transparenz und Vertrauen wiederhergestellt werden«, sagt Kathrin Vogler von der LINKEN, stellvertretende Vorsitzende im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags. Nach ihrer Meinung sind diese Dinge bei der Deutschen Stiftung Organspende, Bundesärztekammer und Eurotransplant nicht in den allerbesten Händen. Vogler hält es für geboten, Sonderregelungen für die Organvergabe im Eilverfahren zu überdenken. Der Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, sagte der dpa, in einem Bericht für das Gesundheitsressort sei das Verfahren bereits vor Jahren als anfällig für Manipulationen bezeichnet worden. Er verlangte Aufklärung über den Anteil der Privatzahler und ausländischer Organempfänger am beschleunigten Verfahren. Für den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach ist der Anstieg dieser Verfahren in keinem Fall mit dem steigenden Alter der Spender zu erklären. Er »muss einem zu denken geben«. Untersuchungen fordert auch der grüne Gesundheitsexperte Harald Terpe.

neues deutschland, 8. August 2011