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Olaf Scholz und Angela Merkel auf der Regierungsbank im Plenarsaal des Bundestages © picture alliance/dpa/Fabian SommerFoto: picture alliance/dpa/Fabian Sommer

»Nicht umklam­mern lassen«

Im Wortlaut von Jan Korte, taz,

In der Krise kommt es auf die Exekutive an? Stimmt nicht, sagen die FraktionsmanagerInnen von Grünen und Linkspartei im Bundestag. Interview: Stefan Reinecke

 

taz: Frau Haßelmann, Herr Korte, ist Opposition in Zeiten der Pandemie schwieriger?

Jan Korte (Linke): Im März gab es den Kampf zwischen Exekutive und dem Parlament. Wir mussten immer wieder darauf insistieren, dass das Parlament das letzte Wort hat.

Hatte es das wirklich? Die reale Macht lag doch bei der Ministerpräsidentenrunde und der Kanzlerin.

Britta Haßelmann (Grüne): Von vielen Seiten hieß es: Das ist die Stunde der Exekutive. Aber es war vor allem die Opposition, die dafür gesorgt hat, dass die parlamentarische Kontrolle auch in Krisenzeiten gesichert ist. Wir haben die Idee eines Notparlaments abgewehrt …

das wollte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble …

Haßelmann: Wir haben eindeutig gesagt: Stopp. Man ändert nicht mal eben hoppla-hopp die Verfassung und richtet ein Notparlament ein. Wir haben die Geschäftsordnung zeitlich befristet geändert und so auf die Krisensituation angemessen reagiert. Das war ein Vorschlag der Grünen.

Korte: Wir haben die Idee Notparlament abgebügelt, bevor eine Dynamik dafür entstehen konnte. Wir haben die Regierung dazu gebracht, nicht nur in der Bundespressekonferenz, sondern im Parlament detailliert zu begründen, was sie tut. Die berichten uns nur, wenn wir sie nerven und darauf beharren, dass das Parlament die erste Geige spielen muss. Olaf Scholz und Angela Merkel schweben manchmal gottgleich über den Niederungen des Parlaments. Das geht nicht.

Hat das Parlament wirklich die erste Geige gespielt? Unionsfraktionschef Ralf Brinkhaus hat sich im April öffentlich darüber Sorgen gemacht, ob die Opposition noch gehört wird. Ungewöhnlich für den Chef einer Regierungsfraktion. Waren Grüne und Linksfraktion zu brav?

Haßelmann: „Brav“ ist keine Kategorie. Es waren doch Ralph Brinkhaus und die Union, die wollten, dass der Gesundheitsminister und die Regierung die epidemische Lage feststellen und das Parlament faktisch Zuschauer bleibt. Das haben die Fraktionsspitzen von Grünen, Linkspartei und FDP verhindert. National die epidemische Lage ausrufen kann jetzt nur der Bundestag. Das war ein Erfolg. Beim Infektionsschutzgesetz würde ich rückblickend sagen: Wir haben zu viel Raum für Rechtsverordnungen des Gesundheitsministers gegeben

Korte: Vielleicht hätten wir den überbordenden Elan der Exekutive noch mehr bremsen sollen. Aber im März war die Lage kompliziert. Wir mussten in kürzester Zeit prüfen, was sinnvoll ist und was zu weit geht. Klar gab es auch die Sorge: Blockieren wir etwas, bei dem sich herausstellt, dass es substanziell nötig ist?

Haßelmann: Der dritte Punkt war die Corona-App. Die Regierung wollte anfangs eine Funkzellenabfrage mit Tracing und Tracking. Wir haben diese Art einer Corona-App verhindertm und die Bundesregierung musste schließlich umschwenken.

Korte: Das haben wir erreicht. Auf der anderen Seite wollten Linke und Grüne per Gesetz sicherstellen, dass die App wirklich freiwillig ist und niemand, der sie nicht nutzt, Nachteile hat. Damit haben wir uns nicht durchgesetzt.

Susanne Ferschl, Fraktionsvize der Linksfraktion, hat gesagt, dass die Opposition in dieser Krise mehr Einfluss hatte als sonst. Stimmt das?

Haßelmann: In der ersten Phase, ja. Der Gesundheitsminister war sehr auskunftswillig, im Gegensatz zu Horst Seehofer. Beim ersten Coronakrisenhilfspaket gab es die Bereitschaft, Impulse und Kritik aus der Opposition aufzunehmen. Das hat dann später allerdings nachgelassen, ab Ende März.

Korte: Seitdem sind wir wieder in dem alten Trott. Die Große Koalition macht, was sie will. Die Zeit für interfraktionell durchaus spannende Verständigungen ist vorbei.

Im April hat im Bundestag FDP-Fraktionschef Lindner die Einmütigkeit beim Krisenmanagement aufgekündigt. Hätten besser Grüne oder Linke dieses Zeichen gesetzt?

Korte: Nein. Ich bin manchmal bereit, selbstkritisch zu sein. Aber ein irrlichternder FDP-Vorsitzender, der im Nachhinein so tut, als hätte er alles schon immer vorher gewusst, ist kein Maßstab.

War der Zuspruch für die „Hygienedemos“ auch ein Echo auf die Abwesenheit der Opposition?

Korte: Die Opposition war nicht abwesend. Das haben zwar manche Medien behauptet. Aber es stimmt für die sehr unterschiedlichen demokratischen Oppositionsfraktionen nicht. Zu den Demos: Ich habe verstanden, dass viele Leute besorgt waren wegen der Einschränkung der Grundrechte. Eine Grundskepsis gegenüber der Exekutive ist sinnvoll. Aber das ist kein Grund, bizarre Thesen zu verbreiten. Sobald Rechte das Bild einer Demo mitbestimmen, gilt: Hier ist man verkehrt.

Haßelmann: Zu Beginn haben mich die Demos nachdenklich gemacht. Mit den Maßnahmen wegen der Coronapandemie wurde ja auch tief in Grundrechte eingegriffen. So kurzfristig wie noch nie. Doch genau die Notwendigkeit der Maßnahmen zu vermitteln, in Zeiten, in denen man sich nicht begegnen kann, in denen es keine Bürgergespräche gibt, ist auch eine Herausforderung. Deshalb war es so wichtig, dass wenigstens die Diskussion im Parlament stattfindet, mit Rede, Gegenrede und Kontroverse.

Ende März hat die Chefin der Linksfraktion, Amira Mohammed Ali, das Paket der Bundesregierung gelobt. Es gab dafür Applaus bei der Union.

Korte: Sie hat auch die soziale Schieflage angesprochen, da gab es keinen Applaus.

Aber Lob der Opposition für die Regierung, Applaus der Union für die Linke – war das kein Symbol für das Zusammenrücken von Regierung und Opposition in der Krise?

Haßelmann: Ist das so schlimm? In einer derartigen Krise müssen demokratische Kräfte, Regierung und Opposition, zusammenarbeiten. Wir haben von Anfang an auf Änderungen gedrängt, vieles hat die Regierung auch aufgegriffen. Beides, Differenz und Übereinstimmung, sind wichtig.

Korte: Ein Minister hat mal die konstruktive Arbeit der Opposition gelobt. Das war für mich ein Alarmsignal, dass wir unsere Position überprüfen müssen. Man darf sich nicht von der Regierung umklammern lassen, aber wenn sie mal etwas richtig macht, stimmt man halt zu.

Hat die Opposition sich umklammern lassen?

Korte: Die Linke nicht.

Und die Grünen?

Haßelmann: Sicherlich nicht.

Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind auch eine Ausnahmesituation. 218 Milliarden Euro Schulden dieses Jahr, 7 Millionen in Kurzarbeit. Geht das Konjunkturpaket der Regierung aus dem Parlament so raus, wie es reingekommen ist?

Haßelmann: Ich hoffe, nicht. Auch wenn wir das als Opposition nur begrenzt beeinflussen können. Das Paket ist zwar besser als befürchtet. Dass die Abwrackprämie für Verbrenner nicht kommt, ist auch ein Erfolg der Klimabewegung. Das Konjunkturprogramm hat aber, wie das erste Coronapaket, eine soziale Schieflage. Ganz wichtig wäre etwa, den ALG-II-Regelsatz für die Krisenzeit um 100 Euro zu erhöhen. Und auch bei den Pflegeberufen hätte es mehr gebraucht.

Korte: Vor Kurzem haben alle den Pflegerinnen und Pflegern, den Ärztinnen und Ärzten, den Kassiererinnen, den Paketboten applaudiert. Wo sind die in diesem Konjunkturpaket? Völlige Fehlanzeige.

Die Regierung braucht die Zustimmung der Opposition zum Konjunkturpaket nur bei der Frage, ob der Bund den Kommunen einen Teil der Hartz-IV-Kosten abnimmt. Stimmen Linksfraktion und Grüne zu?

Korte: Klar. Wir wollten immer, dass der Bund mehr übernimmt. Mir sagt jeder linke Landrat: Das ist richtig.

Haßelmann: Ja, das ist eine nötige strukturelle Entlastung der ärmeren Kommunen.

Sie sind sich in vielem einig. Finanzminister Scholz will ab 2023 die Schulden wieder zurückzahlen. Ist das richtig?

Korte: Das ist der Kern der Auseinandersetzung: Wer bezahlt das? Da geht es auch um die Demokratie. Im meinem Wahlkreis höre ich von vielen: Wir, die kleinen Leute, werden das zahlen. Das ist die verbreitete Stimmung. Die wird Wasser auf die Mühlen der Rechten und Nazis sein. Jetzt beginnt der harte Kampf um die Verteilung der Milliarden und darum, wer das bezahlt. Zu verhindern, dass es wieder läuft wie sonst, das ist unsere Aufgabe als Linke.

Haßelmann: Ich finde es wichtiger, jetzt zu debattieren: Was ist mit den Frauen in dieser Krise? Die Frauen kommen in dem Konjunkturpaket zu wenig vor. Reden wir über diese Schieflage. Und später darüber, wie wir das Geld wieder reinbekommen. Dann werden wir über Ungleichheit und Steuergerechtigkeit reden.

Korte: Britta, da haben wir einen Dissens. Du redest wie auf eurem virtuellen Parteitag. Wollt ihr eine Vermögensabgabe, ja oder nein? Zahlen wie bei der letzten Krise wieder die kleinen Leute? Wollen die Grünen denen oben etwas wegnehmen, um das zu finanzieren? Ja oder nein? Das ist eine elementare Frage.

Haßelmann: Es ist doch vollkommen klar, dass die Kosten auch gerecht verteilt werden müssen und dass starke Schultern mehr tragen müssen. Ich habe das Konzept der Vermögensabgabe der Grünen mit erarbeitet und brauche da keine Aufklärung. Und: Wir haben 7 Millionen Menschen in Kurzarbeit, vielleicht bis zu 10 Prozent Wirtschaftseinbruch. Lass uns mal einen Moment überlegen: Was machen wir? Woher weißt du denn jetzt schon, ob wir bei der Vermögensteuer, der Vermögensabgabe, der Erbschaftsteuer oder der Einkommensteuer landen. Wisst ihr das schon genau?

Korte: Ja. Wir brauchen das ganze Programm, eine einmalige Vermögensabgabe, der Spitzensteuersatz muss erhöht werden, und wir brauchen eine Vermögensteuer. Damit tritt man Mächtigen auf die Füße – und dazu muss man bereit sein. Ich bin d’accord, zu gucken, wo wir beim Konjunkturpaket noch etwas umlenken können. Aber man kann die zentrale Frage, wer zahlt, nicht vertagen.

Haßelmann: Wer mehr hat, muss mehr schultern. Da gibt es zwischen uns keinen Dissens.

Korte: Aber das erreiche ich nicht durch gutes Zureden.

Haßelmann: Mit der Kritik bist du bei den Grünen an der falsche Adresse, Jan. Wir sind in einer Situation, die noch vor Monaten niemand ahnen konnte. Was nutzt es, Beschlusslagen von 2013 und 2017 runterzubeten?

Können die Grünen Vermögensabgabe, Vermögensteuer oder höheren Spitzensteuersatz in einer Regierung mit der Union umsetzen?

Haßelmann: Was realistisch machbar ist, werden wir am Ende der Krise sehen. Erst wenn klar ist, wie genau das Ausmaß ist, lässt sich seriös diskutieren, welchen Ausgleich wir dafür finden. Da helfen keine Farbenspiele.

Korte: Ich bin für ein Mitte-links-Bündnis. Wir waren uns ja in diesem Gespräch in vielem einig, Britta. Aber all das ist mit CSU oder FDP nicht durchsetzbar. Das müsstet ihr klarstellen: Wollt ihr mit denen koalieren oder mit uns? Wir müssen für eine Option jenseits der Union sorgen.

Haßelmann: Wir sind in einer Ausnahmesituation. Eine Situation wie diese hatten wir noch nie – Coronapandemie, Klimakrise, Wirtschaftskrise. Niemand weiß, was 2021 sein wird.

taz,