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Nicht überzeugt vom Abzugsplan

Im Wortlaut von Paul Schäfer,

Bericht über eine Reise nach Afghanistan mit den Stationen Kabul, Mazaar-e-Sharif, Kunduz, Faizabad am 26. und 27. März 2011

Von Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

In der Zeit vom 25.-27. März 2011 habe ich an der Reise des neuen Verteidigungsministers Thomas de Maiziere nach Afghanistan teilgenommen. Eingeladen waren die Obleute aller Fraktionen; die Vertreter von SPD und Grünen waren verhindert.

In Kabul wurden Gespräche geführt mit dem afghanischen Staatspräsidenten Karzai, dem afghanischen Verteidigungsminister Wardak, dem Oberbefehlshaber von ISAF General Petraeus und dem Leiter der NATO Training Mission, Mark Sedwill. Dann ging es weiter nach Mazar-e-Sharif. Dort fanden Briefings mit dem Commander RC North, Gen. M. Kneip und den für die Teilbereiche zuständigen Leitern (Polizeiaufbau, Cimic etc.) statt; abends ergab sich die Gelegenheit zu ausführlicheren Gesprächen mit Soldatenvertretern bzw. einzelnen SoldatInnen.Ein ähnliches Programm wurde in Kunduz (mit dem PRT-Chef Oberst Sabrautzki, dem zivilen Leiter Hr. Nikolai und Anderen) und in Faizabad absolviert.

Karsai: EZ-Gelder sollen direkt an Afghanistan gezahlt werden

Interessant an dem Gespräch mit Karzai war, dass er seine bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz vorgetragene Position wiederholte, wonach die inzwischen beträchtlichen Mittel der Entwicklungszusammenarbeit direkt in afghanische Hände fliessen sollten, statt über die „von außen eingesetzten“ PRTs. Er verwies dabei auf die Erfahrungen, die in der Zeit der sowjetischen Besatzungsmacht zwischen 1980 und 1988 gemacht worden seien. Damals seien ebenfalls hohe Geldsummen an die afghanische Regierung überwiesen worden, aber es habe viel weniger Korruption gegeben! Auf Nachfrage erklärte er, dass er eine erneute russische Intervention nicht befürworte. Es sei nur noch erwähnt, dass er Indien im künftigen Aufbauprozess eine sehr wichtige Rolle einräumt.

Der VM Wardak wiederholte seine bekannten Thesen und Forderungen nach mehr Rüstungsgerät, namentlich deutschen Leopard-Panzern, die man weniger für die Aufstandsbekämpfung, aber für die künftige Verteidigung des Landes nach außen benötige. Die deutsche Seite zeigte sich zunächst reserviert.

NATO gibt sich zuversichtlich

Was die Gespräche mit den NATO- und Bundeswehr-Offiziellen betrifft, so war der Grundtenor allenthalben: Man komme gut voran. Das Momentum der Taliban, der Insurgents sei gebrochen; jetzt liege die Initiative eindeutig bei ISAF.

Besieht man nur die quantitativen Angaben, so ergeben sich im Jahre 2010  in der Tat beträchtliche Zuwächse bei den afghanischen Sicherheitskräften (Armee und Polizei). Ob die behaupteten qualitativen Fortschritte real sind, lässt sich nicht überprüfen.

Am „beeindruckendsten“ der 90 Days Roll Up von General Petraeus. Über 400 Taliban-Führer habe man getötet oder festgenommen. Fast 2.000 Aufständische seien festgesetzt worden; fast 500 getötet. 700 Taliban-Kämpfer wären in diesem Zeitraum „re-integriert“ worden, mit ca. 2.000 sei man derzeit in Verhandlung. Was an dieser, was die Opfer der Aufstandsbekämpfung betrifft, erschreckenden Bilanz merkwürdig stimmt: Wenn man tatsächlich in drei Monaten etwa dreitausend Kämpfer „außer Gefecht“ gesetzt hat (in den drei Monaten davor wurden ähnliche Zahlen präsentiert), dann müsste sich das Thema „bewaffneter Aufstand“ in Kürze erledigt haben. Davon geht aber niemand aus. Mit anderen Worten: Es scheint nach wie vor so zu sein, dass die Aufständischen nicht zuletzt aus Pakistan, viele neue Kämpfer rekrutieren können. Immerhin wurde auch eingeräumt, dass man erst einmal abwarten müsse, wie sich die Aufstandsbewegung mit dem beginnenden Frühling entwickeln werde; erfahrungsgemäß begännen im März die „mittleren“ Führer der Talibs mit der Erneuerung ihrer Strukturen und der Re-Infiltration.

Skepsis gegenüber dem Zeitplan für den Abzug

Weder die US-Militärs, noch die Bundeswehr sind daher so richtig davon überzeugt, ob der NATO-Abzugsplan auch wirklich funktionieren wird. Dort ist man im Gegenteil eher skeptisch, was den strikten Zeitplann betrifft. Diese Skepsis gründet sich insbesondere darauf, dass die afghanische Armee (ANA) nicht in der vorgesehenen Zeit in der Lage sein werden, das Zepter zu übernehmen.

UN: Verhandlungslösung in den Vordergrund

Auffallend, dass vor allem der Vertreter des UN-Sonderbeauftragten (der an einer Gesprächsrunde in Mazar teilnahm), die Aufmerksamkeit auf den notwendigen politischen Prozess lenkte:  Nach wie vor gelte, dass der Aufstand nicht militärisch zu besiegen sei.  Und das Festsetzen der „fremden Mächte“ im Lande, das durch die erhebliche Aufstockung der Mittel – militärisch und zivil – noch einmal bekräftigt werde, arbeite der Legitimation des bewaffneten Widerstands gegen die Fremden zu. Daher sei es jetzt an der Zeit, die diplomatischen Bemühungen um eine Verhandlungslösung in den Vordergrund zu rücken. Seine Thesen wurden höflich ignoriert.

VM de Maiziere legte bei seinem Antrittsbesuch großen Wert darauf, zu ergründen, ob die Militärs mit der vorhandenen und im Zulauf befindlichen Ausrüstung klar kämen, oder ob mehr oder anderes Gerät gebraucht würde. Bis auf den Dauerbrenner der fehlenden Hubschrauber und der sich darauf beziehenden Debatte über die Stationierung der TIGER-Kampfhubschrauber ab 2013, gäbe es aber aus Bundeswehr-Sicht wenig zu kritteln. An der Ausbildung können noch Einiges verbessert werden, aber ansonsten scheint „alles im Lot“ zu sein. Die Soldatinnen und Soldaten waren natürlich auch interessiert zu erfahren, wie es denn nun mit der Bundeswehr-Reform weitergehe. De Maiziere wiederholte seine inzwischen gängigen Positionen, dass er bis Juni Grundentscheidungen treffen wolle – Streitkräfteumfang, Struktur des Ministeriums, Fähigkeitsprofil der Bundeswehr  - und im Herbst dann die restlichen Fragen – Stationierungskonzept insbes. – geklärt würden.

linksfraktion.de, 4. April 2011