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Das Torhaus des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau © REUTERS/Kacper PempelFoto: REUTERS/Kacper Pempel

Nicht nur an die Opfer erinnern, sondern Konsequenzen ziehen und Antiziganismus gesellschaftlich ächten

Nachricht von Jan Korte,

Heute vor 80 Jahren, am 16. Dezember 1942, ordnete Heinrich Himmler als Reichsführer-SS mit dem sogenannten Auschwitz-Erlass die Deportation der zu diesem Zeitpunkt noch innerhalb des Deutschen Reichs lebenden Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an. Der Erlass stellte die letzte Stufe der sich seit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten immer weiter eskalierenden Ausgrenzung aller als "Zigeuner" definierten Menschen dar und bildete die Grundlage für den Porajmos, den Völkermord an den europäischen Sinti und Roma.

Dieser und der ihm zugrundeliegende Antiziganismus sind bis heute weit weniger gründlich erforscht als die Shoa. Dabei ging den Massenmorden seit Beginn des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa, genau wie bei der Shoa, eine flächendeckende Unterdrückungspolitik voraus, an der in hohem Maße die unteren Ebenen von Polizei und Verwaltung beteiligt waren. Nachdem 1937 die zentral organisierte Erfassung von Sinti und Roma erfolgt war, internierten lokale Behörden diese in zahlreichen Orten in besonderen "Zigeunerlagern". Bereits kurz nach dem Überfall Nazideutschlands auf Polen am 1. September 1939 begannen erste Planungen zur systematischen Deportation und Vernichtung von Sinti und Roma aus dem Deutschen Reich in das besetzte polnische Generalgouvernement, die dann ab dem Frühjahr 1940 in mehreren Wellen erfolgten. Im Herbst 1941 wurden auf Befehl Himmlers über 5.000 österreichische Sinti und Roma in das Ghetto Lodz deportiert, von wo sie im Januar 1942 in das Vernichtungslager Chelmno gebracht und dort vergast wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatten Einsatzgruppen in den besetzten Gebieten in Polen, der Sowjetunion und in Südosteuropa bereits Zehntausende Roma systematisch ermordet.

Ein Schnellbrief des SS-Reichssicherheitshauptamts (RSHA) vom 29. Januar 1943 regelte haarklein mit Richtlinien und Ausführungsbestimmungen zum "Auschwitz-Erlass", wer deportiert werden sollte und wie die einzelnen Kriminalpolizeistellen die Organisation der Deportation bewerkstelligen sollten: Sie hatten Listen zu erstellen, Verhaftungen vorzunehmen, Transporte zu Abfahrtbahnhöfen zu regeln, Einlieferungsanzeigen für das KZ Auschwitz zu machen und Karteikarten für die "Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" auszufüllen. Sinti und Roma wurden aus ihren Wohnungen und aus den Sammellagern geholt und in Güterwagen nach Auschwitz transportiert. Ihr gesamter Besitz wurde beschlagnahmt und als "reichsfeindliches Vermögen" eingezogen. Als Begründung für den Transport wurde ihnen vorgelogen, dass sie Haus, Hof und Ackerland erhielten. Die Deportationen aus dem Deutschen Reich begannen Ende Februar 1943 und betrafen bis 1944 mehr als 12.000 deutsche Sinti und Roma. Insgesamt verschleppten die Nationalsozialisten von März 1943 bis Juli 1944 mehr als 23.000 Roma und Sinti aus elf Ländern Europas nach Auschwitz. Nahezu alle fanden dort den Tod. Insgesamt fielen geschätzte 220.000 bis 500.000 Sinti und Roma in Europa dem Rassenwahn der Nationalsozialisten und dem an ihnen systematisch geplanten Völkermord zum Opfer. Sie dürfen nie in Vergessenheit geraten und verpflichten uns in unserem Kampf gegen Rassismus und den nach wir vor tief verwurzelten Antiziganismus in der deutschen Gesellschaft nicht nachzulassen.