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Nicht auf die Panikmacher reinfallen: Eine gute gesetzliche Rente ist finanzierbar

Im Wortlaut von Matthias W. Birkwald,

Matthias W. Birkwald erklärt im Interview mit linksfraktion.de, wie eine Rente aussehen kann, die gerecht für Jung und Alt ist und den Lebensstandard sichert.


In der Koalition gibt es Zoff um die Rente. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will das Rentenniveau bei 48 Prozent bis zum Jahr 2040 stabilisieren. Wie erleben Sie die Debatte um die Gestaltung der gesetzlichen Rente?

Matthias W. Birkwald: Eigentlich ist es begrüßenswert: Die SPD wacht endlich auf und positioniert sich für ein langfristig stabiles Rentenniveau – zu kurz gesprungen, aber immerhin in die richtige Richtung. Aber es ist auch ärgerlich: Aus dem Sommerurlaub präsentieren die Arbeitgeberlobbyisten im Professorengewand  – allen voran der Rentenökonom Axel Börsch-Supan und die von den Arbeitgebern der Metall- und Elektroindustrie finanzierte sogenannte "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" fast im Stundentakt Horrorzahlen, die belegen sollen, dass nicht nur ein stabiles Rentenniveau oder die nun wirklich bescheidenen Verbesserungen aus dem neuen Rentenpaket von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil über die nächsten Jahre Milliarden oder gar Billionen Euro kosten würden. Damit würde die Existenz der heutigen Generationen gefährdet und die deutsche Wirtschaft in die Knie gezwungen. 

Aber es ist doch nicht zu bezweifeln, dass für die Stabilisierung des Rentenniveaus zusätzliches Geld aufgebracht werden muss.

Wenn man diese Horrorzahlen einmal gegenrechnet, ist das alles hanebüchener Unsinn. Nehmen wir die Haltelinie von 48 Prozent Rentenniveau bis 2025. Da schreien alle Marktradikalen im Chor: Das kostet bis 2025 mehr als 30 Milliarden Euro! Sie schüren Angst mit diesen großen Zahlen. Die Zahlen stimmen, aber sie sind kein Grund für Alarmismus.  

Warum nicht?

Wenn man richtig rechnet, sind es sogar 31,7 Milliarden Euro bis 2025 und damit über vier Milliarden pro Jahr. Aber was diese Panikmacher selbstverständlich nicht sagen, ist, dass aktuell ein um einen Prozentpunkt erhöhter Beitragssatz Jahr für Jahr 14,65 Milliarden Euro Mehreinnahmen in die Rentenkasse spülen würde. Und dann wird sehr schnell deutlich: Nicht nur ein stabiles, sondern auch ein höheres Rentenniveau wäre in Zukunft möglich und auch finanzierbar. Und dies nicht nur für die heutige Rentnergeneration, sondern auch für die heute jungen und mittelalten Beitragszahlenden.

Stichwort Generationengerechtigkeit: Geht eine gute Rente zulasten der jüngeren Menschen?

Nein, denn die Jungen und die Mittelalten von heute sind die Rentnerinnen und Rentner von morgen. Eine IG Metall-Studie ergab, dass mehr als 70 der Befragten zwischen 18 und 34  gerne bereit sind, mehr in die Rentenkasse einzuzahlen, wenn sie sicher sein können, dann später im Alter selbst eine auskömmliche Rente zu erhalten. Das genau müsste eine Rentengarantie leisten. Und in Euro und Cent würde das dann bedeuten: Ein junger Mensch, der heute den aktuellen Durchschnittsverdienst von 3156 Euro brutto auf dem Lohnzettel hat, muss gerade einmal 4,75 Euro mehr im Monat zahlen, um das Rentenniveau zu stabilisieren, die zusätzliche Mütterente und die zaghaften Verbesserungen für kranke Rentnerinnen und Rentner aus dem Gesetz von Hubertus Heil zu bezahlen. So werden aus fast 32 Milliarden auf dem Rücken der Jungen gerade mal 4,75 Euro im Monat. Und für Niedrigverdienende mit beispielsweise 1578 Euro wären es nur 3,38 Euro. 

DIE LINKE will ein weit höheres Rentenniveau – statt 48 gleich 53 Prozent, wie es das im Jahr 2000 gegeben hat. Was würde dies bringen und kosten?

Ja, denn das würde einer sogenannten Standardrentnerin, die heute nach 45 Jahren Arbeit zum jeweils gültigen Durchschnittslohn 1.281 Euro Rente netto zu erwarten hat, sofort 130 Euro mehr an Rente bringen. Netto! Finanzierbar wäre das auch heute bei einem durchschnittlichen Bruttolohn (West) von 3156 Euro mit nur 32 Euro mehr an Rentenbeitrag, jeweils für die Beschäftigten und die Chefs. Dafür bräuchte man für eine lebensstandardsichernde Alterssicherung aber keine Riesterbeiträge von 111,66 Euro in diesem Beispiel mehr zu zahlen. Macht unterm Strich 79,66 Euro mehr im Portemonnaie. 

Ist das auch über das Jahr 2025 hinaus finanzierbar?

Natürlich. Wir dürfen nur nicht auf die Panikmacher reinfallen. Statt über Beitragssenkungen zu reden, brauchen wir endlich eine Debatte, wie wir mit moderaten und verkraftbaren Beitragssatzsteigerungen und höheren Steuerzuschüssen den Menschen langfristig eine lebensstandardsichernde gesetzliche Rente garantieren können. Ohne Riester. 

Was heißt das konkret?

Nehmen wir das Jahr 2030: Bei einem durchschnittlichen Bruttolohn, der dann schon voraussichtlich auf 4503 Euro angestiegen sein wird, wären nur 88 Euro zusätzlich im Monat fällig. Der Clou dabei: Bei einem Rentenniveau von 53 Prozent könnte jede und jeder sofort darauf verzichten, Monat für Monat vier Prozent des Bruttoeinkommens in die gescheiterte Riesterrente zu stecken. Das hieße: 88 Euro mehr in die gesetzliche Rente zahlen, aber keine 165,55 Euro (plus Zulagen) mehr in die gescheiterte Riesterrente überweisen! 74,75 Euro mehr in der Tasche. Und wenn es dann endlich eine Erwerbstätigenversicherung gäbe und alle Selbstständigen, Beamtinnen und Beamte, Politikerinnen und Politiker und auch Ärztinnen, Ärzte und Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlten, dann wäre die ja vorübergehende Phase der Babyboomer in der Rente auch gut und gerecht finanziert.


Zum Nachhören: Bleibt die Generationen-Gerechtigkeit auf der Strecke? Matthias W. Birkwald in der DLF-Sendung Kontrovers