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Neue Lage noch nicht verinnerlicht

Im Wortlaut von Dagmar Enkelmann,

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der LINKEN ist mit Unterbrechung seit 1990 Mitglied des Bundestages und seither in Brandenburg auch als Kommunal- und Landespolitikerin aktiv. Mit Dagmar Enkelmann sprach über die am heutigen Mittwoch beginnende Klausur der Bundestagsfraktion Uwe Kalbe.

 

ND: Die Bundestagsfraktion tagt ab heute in Klausur. Eine Aufwärmrunde nach der Sommerpause?

Enkelmann: Diesmal muss es mehr sein. Eine Klausur, ganz im ursprünglichen Sinne – für die Öffentlichkeit geschlossen, um offen zu diskutieren.

Die Öffentlichkeit wurde in letzter Zeit als störend empfunden?

Es geht nicht um Geheimnisse, aber doch um Beratung ohne äußere Einflüsse. Wir müssen mit uns ins Reine kommen, das ist schon lange notwendig.

Das klingt nach Krisensitzung.

Es gibt ernsten Anlass zur Diskussion. Es geht um den Umgang miteinander, um die Festlegung inhaltlicher Schwerpunkte, um die Organisation unserer Arbeit. Wir sind in dieser Wahlperiode in einer neuen Situation, das haben wir noch nicht verinnerlicht.

In welcher neuen Situation?

Die SPD ist nicht mehr in der Regierung, sondern in der Opposition. Das hat Folgen. Vorwürfe an die Sozialdemokraten in Bezug auf deren Entscheidungen in Regierungsverantwortung verlieren allmählich ihre Überzeugungskraft, zumal die SPD diese Zeit kritisch zu reflektieren beginnt und Positionen partiell korrigiert. Das bringt uns in eine neue Lage. Wir müssen unser eigenes Profil deutlich machen, unseren Markenkern, auch in Abgrenzung zur SPD. Wir haben Alternativen, eigene Konzepte für Arbeit und Beschäftigung, Rente und gerechte Steuern. Damit müssen wir offensiver umgehen.

Hat die LINKE nicht mehr mit sich selbst zu tun als mit der SPD?

Leider ist dieser Eindruck nicht vom Tisch zu wischen. So kann es aber nicht bleiben. Dass wir gegenüber der SPD ins Hintertreffen zu geraten drohen, hat auch mit dem Zustand in unserer Partei zu tun. In den letzten Wochen ist mir viel Unmut an der Basis begegnet. Debatten über Vorsitzendengehälter sind für Genossen, die ständig für die Partei unterwegs sind, Geschäftsstellen am Leben halten und nicht mal Kilometergeld abrechnen, nicht nachvollziehbar. Und auch nicht, wie viel Porzellan in manchen Landesverbänden im Streit zerschlagen wurde, ohne dass es erkennbar um inhaltliche Auseinandersetzungen geht.

Was kann die Fraktion tun, wenn sich Genossen in Landesverbänden in die Haare kriegen?

Bundestagsabgeordnete haben eine besondere Verantwortung und dürfen sich an Grabenkämpfen nicht auch noch beteiligen.

Alles eine Frage des Stils?

Vor allem eine Frage des Vertrauens. Wir brauchen mehr Teamgeist. Und klare Schwerpunkte, an denen wir dranbleiben und nicht ständig neue Baustellen aufmachen. Politik ist das Bohren dicker Bretter. Beispiel Rente ab 67. Der Klausur liegen zwei Anträge vor, von denen einer die Verschiebung einer Entscheidung anstrebt. Wir haben hier eine klare Position gegen die Rente ab 67 zu beziehen und keinen Zweifel zuzulassen.

Es gibt doch einen Beschluss der Partei, gilt der nicht mehr?

Natürlich gilt der. Auch unser Konzept zu einer Erwerbstätigenversicherung, unsere Alternative zur Stabilisierung des Rentensystems, liegt vor. Zwar fordert die Programmdebatte auch zu streitbaren Stellungnahmen heraus, aber die Grundlinien müssen stehen. Das gilt auch für die weiteren Klausurthemen – benachteiligte Regionen im Osten und auch im Westen oder die Frage, wer die Kosten der Krise trägt.

Ist es ein Vorteil oder Nachteil, wenn der Parteivorstand aus Mitgliedern des Bundestages besteht?

Die Absprachen sind leichter zu treffen. Das ist nicht unwichtig. Die großen Kompetenzen der Fraktion bringen natürlich auch Ansprüche auf Meinungshoheit hervor. Aber es muss eine Richtlinienkompetenz der Partei geben. Der hohe Anteil von MdB im Parteivorstand kann kein Dauerzustand sein.

 

Interview: Uwe Kalbe

Neues Deutschland, 8. September 2010