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Nein heißt Nein

Im Wortlaut von Halina Wawzyniak,

 

Von Halina Wawzyniak, rechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
 
Am Donnerstag berät der Bundestag einen Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen für eine Strafrechtsänderung zum besseren Schutz vor Vergewaltigung. Eine schon einmal geplante Anhörung hat bislang nicht stattgefunden. Mittlerweile liegt auch der Gesetzentwurf der LINKEN zur Regelung eines „Nein heißt Nein“ vor.  Was liegt also näher, als in der sitzungsfreien Woche einen Besuch bei Beratungsstellen für Betroffene sexualisierter Gewalt zu machen und mit ihnen sowohl über den Gesetzentwurf als auch über weitergehende Forderungen zu reden. Gesagt, getan.
 
In der vergangenen Woche habe ich also unter anderem LARA, Kind im Zentrum, Wildwasser, Tauwetter und TIO besucht.  Klar wurde schnell: Allein mit einem besseren strafrechtlichen Schutz ist es nicht getan. Der Vorschlag einer „Nein heißt Nein“ Regelung stieß meistens auf Zustimmung, es wurde aber immer wieder betont, dass weitergehende Veränderungen erforderlich sind. Sowohl im Bereich des Opferschutzes, als auch im Bereich der Prävention und der Veränderung eines gesellschaftlichen Klimas.
 
Immer wieder wurde das große Dunkelfeld bei Sexualstraftaten thematisiert, also die Frage warum recht wenig Anzeigen erstattet werden. Was muss in diesem Bereich verbessert werden? In vielen Bundesländern gibt es beispielsweise die vertrauliche Spurensicherung, aber eben nicht in allen. Das wäre aber absolut notwendig, denn eine vertrauliche Spurensicherung nimmt den Druck, sofort zu entscheiden, ob eine Strafanzeige gestellt wird. Der Anspruch, auf Wunsch bei einer weibliche Polizeibeamtin die Strafanzeige zu stellen und ebenfalls auf Wunsch eine erste (richterliche) Zeugenaussage via Video aufzuzeichnen wurde erläutert. Insbesondere die Zeugenaussage mit Videoaufzeichnung soll verhindern, dass Betroffene wieder und wieder über die Sexualstraftat berichten müssen. Wichtig wäre für Betroffene sexualisierter Gewalt auch ein Rechtsanspruch auf psychosoziale und rechtliche Beratung sowie Prozessbegleitung und Beiordnung eines/einer Rechtsanwalts/Rechtsanwältin bereist im Ermittlungsverfahren sowie im Falle von Sprachbarrieren ein Rechtsanspruch auf Sprachmittler*innen.
 
Ein spezielles Hindernis für Strafanzeigen stellt ein ungesicherter Aufenthaltsstatus für Betroffene dar. Generell ist das Thema sexualisierter Gewalt gegenüber hierherkommenden Menschen oder seit längerem hier lebender Menschen mit Migrationshintergrund in der Debatte völlig unterbelichtet. Ein Teil der Beratungsstellen wies darauf hin, dass die drohende Ausweisung eines Beschuldigten im Falle einer Verurteilung auch einen Beitrag dazu leistet, dass keine Anzeige erstattet wird. Betroffene wünschen sich durchaus, dass der Beschuldigte Konsequenzen ziehen muss, aber vor dem Hintergrund einer möglichen Ausweisung wird dann teilweise doch auf eine Anzeige verzichtet. Es wurde mir von Fällen berichtet, in denen durch Anzeigen aufnehmende Polizeibeamte unterschwellig der Hinweis gegeben wurde, dass sei doch eine Angelegenheit die innerhalb der Familie gelöst werden könne. Betroffene sexualisierter Gewalt in diesem Teil der Bevölkerung machen sich Sorgen um ihren eigenen Aufenthaltsstatus, die zukünftige Sicherung des Lebensunterhalts und die Frage, wer das Sorge- oder Umgangsrecht für die Kinder erhält.  Die schnellere Anerkennung von Berufsabschlüssen könnte gerade in diesem Bereich dazu führen, dass es mehr muttersprachliche Beratungs- und Therapieangebote gibt. Wenn es um Betroffene sexualisierter Gewalt geht, muss auch ein Blick auf die hierherkommenden Menschen gelegt werden. Es sind verbindliche Standards erforderlich, die zum Beispiel getrennte und abschließbare Sanitärbereiche und auf Wunsch auch Unterbringungsmöglichkeiten für Frauen gewährleisten.
 
Dringend notwendig ist aus Sicht der Beratungsstellen aber auch eine Sensibilisierung und Fortbildung von Polizeibeamt*innen und Richter*innen, die mit Sexualstraftaten zu tun haben.
 
Thematisiert wurde in den Gesprächen auch das immer wiederkehrende Argument, eine Regelung des „Nein heißt Nein“ Grundsatzes würde zu einer Erhöhung der Falschanzeigen führen. Sehr detailliert wurde mir beschrieben, auf welche Schwierigkeiten und Prozeduren Betroffene Sexualisierter Gewalt treffen, wenn sie eine Anzeige erstattet haben. Insbesondere die sog. Glaubhaftigkeitsbegutachtung ist für viele Betroffene eine vor allem auch emotional schwierige Angelegenheit. Ganz besonders schwierig ist dies bei schon länger zurückliegende Sexualstraftaten. Die Preisgabe intimer Details nimmt viele Betroffene mit. Das in nicht unerheblichem Umfang Betroffene sich einer solchen Prozedur unterziehen, obwohl keine Sexualstraftat vorliegt ist eher unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz ist aber die Option, dass eine Falschanzeige gestellt wird nicht komplett zu vermeiden. Als Argument gegen eine „Nein heißt Nein“ Regelung taugt Falschanzeige aber nicht.
 
Die Betroffenen eine Sexualstraftat haben unterschiedliche Motive, wenn sie eine Beratungsstelle kommen. Sie wollen natürlich, dass Beschuldigte Konsequenzen für ihr Verhalten zu spüren bekommen. Nicht immer steht dabei die strafrechtliche Konsequenz im Mittelpunkt. Aber es sollte schon zur Normalität werden, dass Beschuldigte zum Beispiel die gemeinsame Wohnung verlassen müssen und nicht die Betroffenen. Es sollte schon zur Normalität werden, dass zum Beispiel bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz  Beschuldigte den Arbeitsplatz wechseln müssen und nicht Betroffene.  Die Verarbeitungsstrategien Betroffener sind nicht zu typisieren. Einigen reicht es aus, wenn der Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung einfach aufhört. Andere suchen Beratungsstellen auf, weil sie Hilfe zur Bewältigung des Alltags nach einer Sexualstraftat benötigen, wieder andere wollen zunächst stabilisiert werden um danach zu entscheiden, ob sie zum Beispiel Strafanzeige stellen. Bei einem Teil der Betroffenen liegen die Sexualstraftaten schon längere Zeit zurück und sie stellen fest, dass sie das Geschehen doch nicht alleine verarbeiten können. Die Beratungsstellen versuchen alle Anfragen schnell zu bearbeiten, durch eine nur bedingt ausreichende Finanzierung und Stellenausstattung lässt sich an manchen Stellen eine Wartezeit aber nicht vermeiden. In manchen Situationen leidet dann die Präventionsarbeit der Beratungsstellen, weil die Krisenintervention vorgeht. Aufsuchende Arbeit von Beratungsstellen ist fast unmöglich.  Wenn also immer von verantwortlicher Stelle auf die Betroffenen Sexualisierter Gewalt Bezug genommen wird, was ja insbesondere in Strafrechtsdebatten der Fall ist, dann sollten sie daran erinnert werden, dass eine auskömmliche Ausstattung mit Finanzen und Stellen für Beratungs- und Hilfsangebote unabdingbar ist. Wer das vernachlässigt, sollte einfach mal die Klappe halten und nicht von Opferschutz reden.  Aus meiner Sicht sollte darüber nachgedacht werden, ob es eine gesetzliche Verpflichtung zur Vorhaltung von Beratungs- und Präventionsangeboten geben sollte. Prävention und ausreichende Information über Beratungs- und Präventionsangebote verkürzt nach Ansicht der Beratungsstellen nämlich auch den Weg in das Hilfesystem. In diesem Zusammenhang ist es auch völlig inakzeptabel, dass die Antragstellung an den Fonds sexueller Missbrauch nur noch bis zum 30. April 2016 möglich sein soll.
 
In den Gesprächen ging es natürlich aber auch um Beschuldigte einer Sexualstraftat. Derzeit soll die Rückfallquote (erneute Straffälligkeit) von Sexualstraftätern bei 25 Prozent liegen, insbesondere die Beratungsstellen die auch Täterarbeit machen gehen davon aus, dass bei entsprechenden Angeboten zu Beratung und Therapie diese Rückfallquote erheblich gesenkt werden kann. Die meisten Sexualstraftaten geschehen immer noch im sozialen Nahfeld, also in Familien, im Bekanntenkreis oder in Institutionen. Gerade deshalb ist Präventionsarbeit so wichtig.

 

linksfraktion.de, 16. März 2016