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NATO-Intervention in Afghanistan verhindert zivilen Aufbau

Im Wortlaut von Jan van Aken,

Anlässlich der Vortragsreise von Dr. Habibe Erfan, die am 28. Oktober 2010 vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss als Zeugin ausgesagt hat, erscheint an jedem Vortragstag ein neuer Artikel unserer Abgeordneten zum Thema Afghanistan, heute von Jan van Aken. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Leiter des Arbeitskreises Internationale Politik und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Gemeinsam mit Christine Buchholz, deren Text am 1. November erscheint, reiste er Anfang des Jahres 2010 nach Afghanistan.

Von Jan van Aken

Täglich investieren die Länder, deren Soldaten in Afghanistan stationiert sind, mehr als 100 Millionen Dollar in militärische Aktionen, aber nur sieben Millionen Dollar in zivile Aufbau-Projekte. Seit Jahren beklagen Hilfsorganisationen dieses Missverhältnis. Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hatten im Mai die derzeitigen Kosten des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan auf mindestens 2,5 Mrd. € jährlich beziffert und berechnet, dass bislang etwa 15 Mrd. € für diese Militärintervention ausgegeben worden sind.

Die Bilanz des zivilen Aufbaus nach neun Jahren Besatzung in Afghanistan fällt hingegen ernüchternd aus: Afghanistan ist das sechstärmste Land der Erde. 61 Prozent der afghanischen Bevölkerung sind unterernährt. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist auf 43,1 Jahre gesunken. Fast 90 Prozent der Bevölkerung haben keinen Zugang zu Trinkwasser. Nach Angaben des afghanischen Gesundheitsministeriums sterben jährlich bis zu 65 000 Kinder an verunreinigtem Wasser.

Statt weitere Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan zu schicken, muss der zivile Aufbau im Zentrum stehen. Auch die jüngste Aufstockung der deutschen Entwicklungshilfe für Afghanistan ist eine Farce, solange sie in erster Linie den Bundeswehreinsatz flankiert. Die Bundesregierung setzt weiter auf die enge Verknüpfung von Entwicklungshilfe und Militäreinsatz. Die sogenannte zivil-militärische Zusammenarbeit gefährdet aber die Aufbauarbeit und das Leben der zivilen Helferinnen und Helfer.

Es ist unverantwortlich, dass die Bundesregierung Nichtregierungsorganisationen (NGO) immer weiter unter Druck setzt, ihre Arbeit militärischen Strategien unterzuordnen. Als ich im Februar in Afghanistan war, haben uns viele zivile Helfer berichtet, dass sie in heiß umkämpften Regionen Entwicklungsprojekte aufgebaut haben, die seit Jahren funktionieren. Die Voraussetzung dafür war, dass sich das Militär dort heraushält. Es ist also nicht nur möglich, sondern vermutlich der einzige Weg. Ich bin überzeugt: Dort wo das Militär ist, kann kein ziviler Aufbau stattfinden.

Die Fraktion DIE LINKE fordert den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan, massive Investitionen in den Aufbau einer zivilen Infrastruktur sowie Friedensverhandlungen unter Einbeziehung friedlicher zivilgesellschaftlicher Kräfte. 

linksfraktion.de, 20.10.2010