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Nahles muss beweisen, dass sie Angriffe auf den Mindestlohn abwehren kann

Interview der Woche von Klaus Ernst, Sabine Zimmermann,

Klaus Ernst, liegen Ihnen schon Zahlen vor, wie viele bayrische Unternehmen 2015 vor dem Konkurs stehen werden, wenn der Mindestlohn gnadenlos zuschlägt? Gesetzt den Fall natürlich, dass die CSU das nicht noch verhindern kann...

Klaus Ernst: ….an Kaffeesatzleserei beteilige ich mich nicht. Nur so viel: Es gibt keine seriösen Studien, die negative Auswirkungen auf die Wirtschaft belegen. Es wird deshalb nach Einführung des Mindestlohns passieren, was zuletzt in Großbritannien aus diesem Anlass zu beobachten war: Teilweise steigen zum Kostenausgleich die Preise einzelner Waren oder Leistungen etwas, teilweise sinken die Gewinne etwas. Die Gewinnsituation in Deutschland aber ist seit Jahren im Gegensatz zur Lohnsituation außerordentlich gut. Was die CSU angeht: Seehofer und seine Trachtentruppe pumpen sich gerne mit heißer Luft auf. Wenn es aber konkret wird, wie aktuell bei der Umsetzung der PKW-Maut für Ausländer oder der unsäglichen Debatte über Armutszuwanderung, entweicht diese ganz schnell wieder.

Welche Chancen räumen Sie dem Mindestlohn in der im Koalitionsvertrag vereinbarten Form überhaupt noch ein?

Klaus Ernst: Es war absehbar, dass die Gegner eines Mindestlohns immer neue Ausnahmeregelungen fordern würden. Bundesarbeitsministerien Andrea Nahles muss nun beweisen, dass sie in der Lage ist, diese Angriffe abzuwehren. Alles andere wäre Verrat an den Betroffenen und den Gewerkschaften. Unsere Aufgabe ist es, Frau Nahles während des Gesetzgebungsverfahrens genau auf die Finger zu schauen. Und ihr notfalls auf selbige zu klopfen.

Deutschland steht wirtschaftlich im Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn halbwegs gut dar. Die Wirtschaft wächst, die Zahl der Erwerbslosen hat sich nicht sprunghaft verschlechtert, der Export alles andere als eingebrochen. Wieso sollten wir da mit einem Mindestlohn unsere gute Lage aufs Spiel setzen?

Klaus Ernst: Die Fakten sprechen eine andere Sprache: 24 Prozent aller Beschäftigten arbeiteten 2011 für einen Niedriglohn unter 9,14 Euro pro Stunde. Allein 2012 gab es mehr als 1,3 Millionen Erwerbstätige, die zusätzlich zu ihrem Lohn Hartz IV-Leistungen beziehen mussten. Die deutsche Niedriglohnstrategie hat zudem maßgeblich zu den wirtschaftlichen Ungleichgewichten in Europa beigetragen. Nicht umsonst fordern Internationaler Währungsfonds, EU-Kommission und selbst der US-amerikanische Finanzminister, die Binnennachfrage deutliche zu stärken. Ein Mittel dazu ist der Mindestlohn. Er würde die Kaufkraft und damit den Konsum deutlich ankurbeln.

Was ist dran an Zahlen wie den vom Bundesfinanzministerium genannten 1,8 Millionen Menschen, die durch die Einführung des im Koalitionsvertrag festgeschriebenen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland angeblich ihren Job verlieren werden?

Klaus Ernst: Das amüsiert mich jetzt schon. Die schwarz-gelbe Bundesregierung, der auch Herr Schäuble angehörte, hatte 2011verschiedene Institute beauftragt, die bereits bestehenden Branchenmindestlöhne auch auf Beschäftigungseffekte hin zu untersuchen. Das Ergebnis: Negative Effekte konnten praktisch nicht festgestellt werden, obwohl einige Branchenmindestlöhne sogar deutlich über 8,50 Euro liegen. Verglichen mit dem Mindestlohnniveau anderer westeuropäischer Staaten sind 8,50 Euro pro Stunde vergleichsweise niedrig.

Sabine Zimmermann, was bringt ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn denjenigen, die gar keinen Lohn beziehen, weil sie ohne Erwerbsarbeit sind?

Sabine Zimmermann: Sehr viel. Denn auch sie haben ein Interesse, dass es bei den Löhnen eine untere Haltelinie gibt. Wenn sie Arbeit aufnehmen, wollen sie von dieser auch leben können. Zudem könnte die Arbeitsagentur Erwerbslose nicht mehr zu Billigjobs zwingen. Und ein Austrocknen der Niedriglöhne würde auch das gesellschaftliche Bewusstsein verändern und die Frage aufwerfen, ob nicht auch die Regelsätze für Hartz IV viel zu niedrig sind.

Gründet sich das deutsche Wirtschaftswachstum auf Armut, benötigt sie sogar?

Sabine Zimmermann: Ja, zu einem großen Teil. Viele Geschäftsmodelle beruhen auf Niedriglöhnen, vor allem im Dienstleistungssektor. Aber auch in der Industrie haben mit Leiharbeit und Werkverträgen Armutslöhne Einzug gehalten. Um wirtschaftlich konkurrenzfähig zu sein, hat die Politik einen starken Niedriglohnsektor aufgebaut und damit auch das allgemeine Lohnniveau nach unten gezogen. Das hat nicht nur für die Einzelne oder den Einzelnen fatale Auswirkungen, sondern auch gesellschaftlich eine gefährliche Entwicklung in Gang gesetzt. Die anderen Länder ziehen jetzt mit Lohnsenkungen nach. Das ist eine Spirale nach unten. Die arbeitende Bevölkerung aller Länder verliert dadurch, während die Unternehmensgewinne steigen.

Wie kann ein gesetzlicher Mindestlohn effektiv zur Armutsbekämpfung beitragen?

Sabine Zimmermann: Heute erzielt jeder dreizehnte Erwerbstätige ein Einkommen an der Armutsgrenze. Ein Mindestlohn von 10 Euro, wie ihn die LINKE fordert, würde den Lohn von über 8 Millionen Beschäftigten erhöhen. Aber wir wollen das Lohnniveau insgesamt erhöhen. Dazu soll der Mindestlohn die untere Haltelinie im Lohngefüge sein. Darauf aufbauend wollen wir Tarifverträge und Gewerkschaften stärken. Dazu müssen prekäre Beschäftigungsverhältnisse eingedämmt werden. Die Große Koalition geht dieses Problem kaum an.

Wie wird DIE LINKE darauf hinwirken, dass es zu einem guten gesetzlichen Mindestlohn kommt?

Sabine Zimmermann: Wir müssen gesellschaftlich mehr Druck machen: dafür, dass es bei einem Mindestlohn keine Ausnahmen gibt, er schneller kommt und zügig auf zehn Euro erhöht wird. Reden und Anträge im Parlament reichen da nicht. Deshalb ist es gut und notwendig, dass nun auch die Gewerkschaften fordern, einen eingeführten Mindestlohn schnell auf zehn Euro zu erhöhen. Wir müssen zusammen mehr an einem Strang ziehen.


linksfraktion.de, 13. Januar 2014