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Jutta Krellmann im Deutschen Bundestag | Foto: © Alexander KlebeFoto: Alexander Klebe

Mitbestimmung zahlt sich aus

Im Wortlaut von Jutta Krellmann,

Wenn Beschäftigte in Betrieben mitreden, sind meist die Gehälter höher, es gibt mehr Urlaub und kürzere Arbeitszeiten. Trotzdem ist der Anteil der Betriebsräte rückläufig. Betriebsräte oder diejenigen, die einen gründen wollen, sehen sich immer häufiger Angriffen ausgesetzt. Dieses Verhalten ist zutiefst undemokratisch und hat mit der vielbeschworenen Sozialpartnerschaft nichts zu tun. Es ist eine Kampfansage der Arbeitgeber, die Demokratie in ihren Betrieben immer öfter offen ablehnen. Um sich nicht reinreden zu lassen, setzen einige Arbeitgeber auf Union Busting, das systematische Bekämpfen von Betriebsräten und Gewerkschaften. Das ist ein unverhohlen offener Angriff auf die Demokratie und doch sieht die Politik der Entwicklung tatenlos zu, kommen die Täter viel zu oft ungestraft davon.

Dass sich Arbeitgeber heute so verhalten können, wurde durch politische Entwicklungen der letzten Jahre begünstigt. Die Ausweitung prekärer Beschäftigung mit der Einführung der Hartz Gesetze haben Belegschaften diszipliniert und gespalten sowie die gewerkschaftliche Organisation nachhaltig geschwächt. Ziel war Arbeit um jeden Preis, nicht mehr gute Arbeit. Betriebsräte sind in dieser Perspektive freilich lediglich ein Störfaktor.

Erneut wandelt sich die Arbeitswelt rapide. Digitalisierung, Klimawandel und Globalisierung sind die Stichworte. Arbeitgeber sehen ihre Chance gekommen, die Mitbestimmung weiter zurückzudrängen. Hier gilt es dagegenzuhalten. Bestimmen der Markt und Konzerne wie Facebook oder Amazon allein, führt das zu fatalen Entwicklungen.

Beschäftigte werden heute schon durch technische Möglichkeiten minutiös überwacht, sogar beim Gang zur Toilette. Gleichzeitig schreien Arbeitgeber nach mehr Flexibilisierung und laufen gegen die Erfassung der Arbeitszeit Sturm. Der Wandel muss Anlass sein, um die Arbeitswelt gerechter, menschlicher und demokratischer zu gestalten. Am besten geht das durch die Betroffenen selbst. Dazu sind starke Betriebsräte und eine Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen notwendig.

Die betriebliche Mitbestimmung feiert dieser Tage ihren 100. Geburtstag. Geboren als Arbeiter- und Soldatenräte aus den Schrecken des Ersten Weltkrieges, waren sie die treibende Kraft für das Ende der Monarchie und Geburtshelfer der ersten deutschen Demokratie. Hunderttausende organisierten Anfang 1919 regionale Generalstreiks. Unternehmer fürchteten eine deutsche Oktoberrevolution und waren bereit, sich mit den Gewerkschaften zu arrangieren.

Über 100 000 Arbeiterinnen und Arbeiter protestierten gegen den von der SPD vorgelegten Gesetzesentwurf und forderten im Berliner Regierungsviertel volle Mitbestimmungs- und Kontrollrechte in den Betrieben. Während im Reichstag das Betriebsrätegesetz debattiert wurde, eröffnete die Sicherheitspolizei draußen das Feuer. Mit 42 Toten und über 100 Verletzten handelte es sich um die blutigste Demonstration der deutschen Geschichte. Am 4. Februar 1920 schließlich trat das Betriebsrätegesetz in Kraft. Es blieb zwar weit hinter den Erwartungen der Räte zurück, legte aber den Grundstein für die betriebliche Demokratie.

Nach der gewaltsamen Zerschlagung der Arbeiterbewegung durch die Nationalsozialisten markierte das Ende des Zweiten Weltkrieges den Neuanfang für die Mitbestimmung. Die Lehre aus der Nazidiktatur und deren Pakt mit einen großen Teil deutscher Unternehmer ließ bei den Räten und Gewerkschaften die Forderung nach einer mitbestimmten Wirtschaft abermals aufflammen.

Einige Bundesländer wie Hessen erweiterten daraufhin 1948 die Mitbestimmung erstmals auch auf wirtschaftliche Angelegenheiten. Doch wurden diese durch US-Einfluss einkassiert und endgültig 1952 durch das Betriebsverfassungsgesetz auf Bundesebene ersetzt.

Die Geschichte der Mitbestimmung ist ein bis heute andauernder Kampf zwischen Arbeit und Kapital. Dieser Kampf ist im Kapitalismus systemrelevant und wird in Zeiten neoliberaler Wirtschaftspolitik noch mal verschärft.

100 Jahre Betriebsräte heißt 100 Jahre Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und gelebte Demokratie in den Betrieben. Heute gilt es, diesen Status quo nicht nur zu verteidigen, sondern einen Schritt weiter zu gehen und die Demokratie in Deutschland zu stärken.

Betriebliche Mitbestimmung bedeutet demokratische Teilhabe. Die Geschichte lehrt uns: Nur eine gelebte Demokratie in allen Bereichen unserer Gesellschaft vermag es, ein starkes Bollwerk gegen autoritäre und demokratiefeindliche Bestrebungen zu sein.

Dieser Gastbeitrag erschien am 7. Februar 2020 in der Tageszeitung Frankfurter Rundschau.