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Mit Krieg lässt sich Terror nicht besiegen

Im Wortlaut von Stefan Liebich,


Von Stefan Liebich, für DIE LINKE Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages

 

Der Kampf gegen den Terror hat in Europa einen neuen Code. Er lautet „42-7“ und aufgerufen hat ihn Frankreichs Staatspräsident François Hollande am letzten Montagnachmittag während einer gemeinsamen Sitzung der französischen Nationalversammlung und des Senats. Hinter dem Kürzel verbirgt sich der Artikel 42, Absatz 7 der Lissaboner EU-Verträge. Es ist ein bislang wenig beachteter Vertragsbestandteil und seine überraschende Inanspruchnahme durch Frankreich ist Teil der Reaktionen auf die mörderischen Terroranschläge mit über 130 Toten in Paris am vergangenen Wochenende.

Es ist das erste Mal, dass ein EU-Mitgliedsstaat den Artikel einfordert, in dem es wörtlich heißt: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung.“ Ganz neu ist eine solche Formulierung allerdings nicht. Bereits in der 2011 dahingeschiedenen Westeuropäischen Union (WEU), einem 1954 vor dem Hintergrund des Kalten Krieges gegründeten Militärpakt zwischen Großbritannien, Frankreich, Italien, den Beneluxstaaten sowie der Bundesrepublik Deutschland, gab es eine entsprechende Verabredung.

Eine fragwürdige Interpretation

Was der Artikel konkret für ein EU-Land bedeutet, ob Gremien der Europäischen Union nun darüber befinden müssen und wenn ja welche und ob beziehungsweise wie man der Bitte Frankreichs folgt, darüber tun sich derzeit mehrheitlich Fragezeichen auf. In der Bundesregierung geht man offenbar davon aus, dass die EU als Institution schon gar nicht mehr im Spiel sei, denn die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini beschied gegenüber den EU-Verteidigungsministern, dass schon mit der Bezugnahme auf 42-7 durch Präsident Hollande der Bündnisfall ohne weitere Abstimmungen eingetreten sei. Eine fragwürdige Interpretation.

Selbst bei der bislang einzigen Inanspruchnahme des NATO-Bündnisfalls nach den Attentaten auf das World-Trade-Center und das Pentagon in den USA 2001 gab es keinen Automatismus, sondern prüfte zunächst der NATO-Rat das Vorliegen der Bündnisverpflichtungen und fasste dann einen Beschluss. Die PDS kritisierte damals die völkerrechtliche Interpretation, dass der Terrorangriff ein bewaffneter Angriff von außen auf die USA sei. Dies ist auch beim Pariser Terrorangriff zu hinterfragen. Insofern ist die von Mogherini  geplante Vorgehensweise bei einer so wichtigen Entscheidung nicht zu akzeptieren.

Nach den Aussagen der Bundesregierung folgt aus der Feststellung des Bündnisfalles unmittelbar erst einmal gar nichts. Die Regierung Frankreichs müsste gegenüber den Mitgliedsstaaten nun bilateral aktiv werden und ihre konkreten Unterstützungsbitten formulieren. Diese können militärische Maßnahmen sein, aber eben auch andere. Und dann muss die Bundesregierung entscheiden, wie sie auf die entsprechenden Bitten reagiert. Sollten militärische Maßnahmen erwogen werden, müsste dann in jedem Fall der Bundestag beteiligt werden, ohne dessen Zustimmung kein Soldat der Bundeswehr im Ausland kämpfen darf.

Über die Frage, warum Frankreich nicht den NATO-Bündnisfall, sondern den besagten EU-Paragrafen in Anspruch nahm, lässt sich derzeit nur spekulieren. Gut möglich, dass der Präsident, der die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats mit einem eigenen Antrag für eine gemeinsame Resolution zur Verurteilung des Terrors und den gemeinsamen Kampf dagegen gewinnen will und zu diesem Zweck nach Moskau und Washington reist, der Meinung ist, dass die Ausrufung des NATO-Bündnisfalles, angesichts des schlechten Verhältnisses zwischen Russland und der NATO in eine Sackgasse führen würde.

Vorgehen unter dem Dach der UNO

Ich würde es begrüßen, wenn statt der selbst mandatierten „Koalitionen der Willigen“, die seit 15 Monaten unkoordiniert in Syrien und dem Irak Bomben abwerfen, unter dem Dach der UNO ein gemeinsames nachhaltiges Vorgehen gegenüber den Terroristen des IS verabredet wird. Die intensiven Gespräche zwischen Obama und Putin machen da ebenso Hoffnung wie die anhaltenden Verhandlungen in Wien zur Zukunft Syriens.

Kurzfristig müssen die Finanzströme, die dem IS sein mörderisches Treiben erst ermöglichen, konsequent ausgetrocknet und ein weiterer Zustrom von Kämpfern unterbunden werden. Hierzu gibt es bereits einstimmige Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats. Die Hoffnung, mit einem gemeinsamen Bombenkrieg oder gar Bodentruppen in Syrien und dem Irak den IS nachhaltig zu vernichten, teile ich nicht, denn etliche Terrormörder sind Bürger von EU-Staaten. Und nun auch noch ungefragt einen Bundeswehreinsatz anzubieten, wie es Bundestagsabgeordnete der Koalition taten, ist ein großer Fehler.

Die zentrale Lehre besteht weiterhin darin, die Ursachen des Terrors und seine befördernden Elemente zu bekämpfen. Ein Krieg dagegen – so viel sollten wir aus dem letzten Jahrzehnt gelernt haben – führt nicht zum Erfolg.

linksfraktion.de, 19. November 2015