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Mindestzustimmungsquoren schaden der Demokratie

Im Wortlaut von Halina Wawzyniak,

 

Von Halina Wawzyniak


Paul Tiefenbach hat ein interessantes Buch geschrieben: "Alle Macht dem Volke? Warum Argumente gegen Volksentscheide meistens falsch sind". Herausgeber ist der Verein Mehr Demokratie e.V.

Die Berlinerinnen und Berliner haben gestern ganz knapp den Volksentscheid "Neue Energie" über den Gesetzentwurf über die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung abgelehnt. Zur Annahme des Gesetzesentwurfes hätten die Mehrheit der Teilnehmer/innen und zugleich mindestens 25 Prozent der Stimmberechtigten zustimmen müssen. Zwar haben 83 Prozent der Teilnehmer/innen für den Gesetzentwurf  gestimmt, es waren am Ende aber eben "nur" 24,1 Prozent der Abstimmungsberechtigten. Von den 2.483.755 Abstimmungsberechtigen haben 722.365 tatsächlich an der Volksabstimmung teilgenommen, mit Ja haben 599.565 Bürgerinnen gestimmt. Zur Annahme des Gesetzesentwurfes hätten 625.000 Bürger/innen mit Ja stimmen müssen.

Die Frage der Quoren ist schon immer eine heiß umstritten, wenn es um direkte Demokratie geht. Auf Bundesebene gibt es die Möglichkeit für Bürger/innen nicht an Volksentscheiden teilzunehmen. Tiefenbach weist in seinem Buch darauf hin, dass Deutschland das einzige Land in der EU ohne nationale Volksabstimmungen ist. DIE LINKE will das ändern und hatte in der vergangenen Legislaturperiode bereits einen Gesetzentwurf zur Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung vorgelegt. Nach diesem Gesetzentwurf wäre der Volksentscheid "Neue Energie" angenommen worden. In Artikel 82c Abs. 5 hatten wir formuliert: "Eine Gesetzesvorlage (…) sind durch Volksentscheid angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat." Unser Argument gegen ein Mindestzustimmungsquorum ist einfach und überzeugend: "Es muss auch berücksichtigt werden, dass bereits in den ersten zwei Stufen des Volksgesetzgebungsverfahrens eine Mindestanzahl von Beteiligten ihre Zustimmung erklärt haben muss."

Ich glaube tatsächlich, dass ein Mindestbeteiligungsquorum und eine Mindestzustimmungsquorum die direkte Demokratie einschränken würde. Demokratie bedeutet, sich beteiligen zu können, nicht zu müssen. Wer sich nicht beteiligen will, der sollte auch keinen Einfluss auf die Entscheidung derjenigen haben, die sich beteiligen.

Und nein, das Argument, es könnten auch "falsche" Entscheidungen getroffen werden, überzeugt nicht. Der Souverän ist das Volk. Besser wäre, der Souverän wäre die Bevölkerung, also all jene Menschen, die hier seit längerer Zeit leben. Sie sollten sich auch an Volksabstimmungen beteiligen können. Das Pro- und Contra zu Volksentscheiden muss argumentiert werden und es liegt an den Befürworter/innen und Gegner/innen zu überzeugen. Ein Mindestzustimmungsquorum jedenfalls macht das Argumentieren nicht nur schwerer, es gibt denjenigen, die sich nicht beteiligen wollen, auch die Macht, eine Zustimmung zu verhindern. Mindestzustimmungskriterien nützen am Ende nicht der Demokratie, sie schaden der Demokratie.

Um auf das Buch von Paul Tiefenbach zurückzukommen, wer sich intensiver mit dem Pro und Contra beschäftigen will, dem sei diese Buch ans Herz gelegt.

linksfraktion.de, 4. November 2013