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Merkeldämmerung

Im Wortlaut von Sahra Wagenknecht,

Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

 

 

Warum das griechische Aufbegehren der Anfang einer sozial gerechten Politik in ganz Europa sein könnte, erläutert Sahra Wagenknecht, Erste stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.

Der Wahlsieg von Syriza vom 25. Januar ist eine Chance für Europa. Die griechische Bevölkerung hat den Kampf gegen eine Finanzdiktatur aufgenommen, die hunderte Milliarden an Steuergeldern verschlungen, Millionen Arbeitslose und Arme produziert, Gewerkschaften entrechtet und die Perspektive einer ganzen Generation im Süden Europas zerstört hat. Damit hat auch die Macht von Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Riss bekommen, denn sie ist hauptverantwortlich für ein Krisenmanagement, das durch drastische Kürzung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen die schwarzen Löcher zu stopfen versucht, die durch die Fehlspekulation von Banken und Hedgefonds entstanden sind.

Griechenland war schon vor fünf Jahren zahlungsunfähig. Wäre die griechische Linkspartei schon damals an die Regierung gelangt, wären deutsche Steuerzahler nie derart zur Kasse gebeten worden. Die gigantischen Rettungskredite für die Banken, die Syriza damals entschieden abgelehnt hat, hätte es nie gegeben, und die privaten Gläubiger, die damals noch 90 Prozent der griechischen Schulden hielten, wären für ihre unverantwortliche Kreditpolitik bestraft worden. Es kam leider anders. Die von Merkel auf den Plan gerufene Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) hat mit einer korrupten griechischen Elite einen wahnwitzigen Kreditvertrag geschlossen, der zu einer humanitären Katastrophe geführt hat. Während sich griechische Millionäre an den von der Troika diktierten Privatisierungen noch bereichert haben, hat ein Großteil der einfachen Bevölkerung nicht mehr genug Geld, um den Strom, die Wohnung oder Nahrungsmittel zu bezahlen. Fast ein Drittel der Bevölkerung ist nicht mehr krankenversichert, täglich sterben Menschen, weil sie medizinisch nicht mehr versorgt werden oder sich aus Verzweiflung das Leben nehmen.

Syriza braucht Partner

Die Bundesregierung leugnet diese Tatsachen, mehr noch: Sie bezeichnet die Politik der Troika als Erfolg! Statt auf die vernünftigen Vorschläge der neuen griechischen Regierung einzugehen, hat Merkel ihr die Pistole auf die Brust gesetzt, damit sie sich zum alten Kreditprogramm mit seinen detaillierten Forderungen nach Kürzung von Mindestlöhnen, Renten und Arbeitslosengeld, nach Abschaffung von Flächentarifverträgen und Kündigungsschutz, nach höheren Verbrauchssteuern, der Verschleuderung von Staatseigentum, Massenentlassungen sowie der Erwirtschaftung wahnwitziger Überschüsse für den Schuldendienst bekennt. Die gnadenlose Erpressungspolitik der Bundesregierung und der EZB blieb nicht ohne Folgen. So wurde die neue griechische Regierung zur weiteren Zusammenarbeit mit der verhassten Troika genötigt und wird einige Wahlversprechen vorerst nicht einlösen können. Doch der Kampf gegen die europäische Kürzungs- und Privatisierungspolitik ist damit nicht verloren, er fängt erst richtig an! Klar ist: Syriza wird einen Politikwechsel nicht im Alleingang durchsetzen können. Wenn es den fortschrittlichen Kräften in Europa nicht gelingt, die neoliberale Hegemonie in den Staaten der Eurozone deutlich zu schwächen, hat selbst die neue Regierung in Athen nicht viel Aussichten, eine andere Politik durchzusetzen.

Den deutschen Linken fällt die größte Aufgabe zu, denn die Bundesregierung hält besonders hartnäckig an der bisherigen Totsparpolitik fest und zählt zu den größten Scharfmachern der Erpressungspolitik gegenüber Griechenland. Um jede Hoffnung auf einen Politikwechsel im Keim zu ersticken und die Alternativlosigkeit neoliberaler Kürzungspolitik zu demonstrieren, setzen Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble sogar Milliarden deutscher Steuergelder und die Zukunft der Eurozone aufs Spiel. Offensichtlich haben sie panische Angst davor, dass eine Regierung, die lieber Reichensteuern erhebt, statt Löhne und Renten zu kürzen, und sogar auf teure Berater und Dienstwagen verzichtet, damit entlassene Putzfrauen wieder eingestellt werden können, andernorts Sympathien und Nachahmer finden könnte. Zum Glück für uns ist ihre Angst berechtigt.

In Spanien, wo im Herbst gewählt wird, hat das Linksbündnis Podemos gute Chancen, stärkste politische Kraft zu werden. Auch in Italien, Frankreich und anderen Ländern wächst der Unmut über die von Deutschland diktierte Kürzungspolitik. In Großbritannien, wo bereits im Mai gewählt wird, hat dagegen die rechtspopulistische und europafeindliche UKIP-Partei zu einem Höhenflug angesetzt. Europa driftet politisch auseinander. Dafür ist die Merkel’sche Rettungspolitik mit verantwortlich, die die Krisenverursacher aus dem Blickfeld genommen und stattdessen die Bevölkerung verschiedener Länder gegeneinander aufgehetzt hat. Die Geister, die Merkel damit gerufen hat, richten sich nun allerdings zunehmend gegen sie selbst und gegen die europäischen Institutionen, deren Unfähigkeit, eine Lösung für drängende Probleme zu finden, immer deutlicher wird. Dank des katastrophalen Krisenmanagements hat nur noch eine Minderheit der EU-Bürger ein positives Bild von der EU und ihren Institutionen, Tendenz weiter sinkend.

Internationale Solidarität für ein besseres Europa

„Pacta sunt servanda“, „Die Griechen sollen sich an die Verträge halten“ – dieses Totschlagargument hört man derzeit oft. Fakt ist, dass die Tätigkeit der gesamten Troika keine rechtliche Grundlage hatte und dass die Europäische Zentralbank, die EU-Kommission und fast alle Eurostaaten in den letzten Jahren dutzendfach gegen EU-Verträge verstoßen haben und weiter verstoßen. Wenn Verträge von der Wirklichkeit überholt worden sind, bleibt nur eins: Sie müssen geändert werden. Nicht nur Griechenland, ganz Europa braucht einen neuen Gesellschaftsvertrag, der nicht länger auf Lohn- und Steuerdumping basiert, sondern soziale und steuerliche Mindeststandards festlegt. Die EZB muss aus ihrer neoliberalen Zwangsjacke befreit werden und den Staaten zinsgünstige Kredite für Investitionen gewähren. EU-weit müssen die Vermögen der Reichsten endlich statistisch erfasst werden – als Voraussetzung für eine Vermögensabgabe für Millionäre, die genutzt wird, um den öffentlichen Schuldenstand auf ein tragfähiges Niveau abzusenken. Die EU braucht aber auch einen neuen Asylkompromiss: Es kann nicht sein, dass die Mittelmeerstaaten mit wachsenden Flüchtlingsproblemen allein gelassen werden, während sich Deutschland mit einer unsozialen Drittstaatenregelung vor den Folgen seiner Politik abschottet.

DIE LINKE ist die Partei der internationalen Solidarität, die für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa eintritt. Eben deshalb müssen wir unsere Kritik an den neoliberalen Institutionen und Praktiken der EU weiter zuspitzen, bei uns in Deutschland energisch für höhere Löhne, Renten und bessere Arbeitsbedingungen streiten und der nationalistischen Hetze gegen vermeintliche „Griechen-Raffkes“ entschieden entgegentreten. Wir können nicht dulden, dass weiterhin Griechen gegen Deutsche oder Spanier und Portugiesen gegen Griechen ausgespielt werden. Unsere gemeinsamen Feinde sitzen in den Chefetagen der großen Banken und Konzerne, sie sitzen in der EU-Kommission, im Internationalen Währungsfonds und im Bundeskanzleramt. Und sie sitzen in der mächtigsten Institution Europas: der Europäischen Zentralbank, die sich in den letzten Jahren zum Herrscher über die Parlamente aufgeschwungen hat und an diesen vorbei eine sozialfeindliche Politik diktiert.

Es gibt also viele gute Gründe, weiterhin in den Parlamenten und auf den Straßen und Plätzen Europas gegen das europäische Krisenregime und die Politik der Europäischen Zentralbank zu demonstrieren!


Das Essay erscheint am 14. März 2015 in der neuesten gedruckten Ausgabe der clara, dem Magazin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.