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Merkel hat den flächendeckenden Mindestlohn verhindert

Im Wortlaut von Jutta Krellmann,

Foto: Christian Heyse

 

Von Jutta Krellmann, gewerkschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Können Sie sich noch an die Mindestlohndebatte im letzten Jahr erinnern? Immer wieder hatte die Bundeskanzlerin Merkel darauf hingewiesen, dass sie einen einheitlichen und flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ablehnt. In der letzten Woche hat der Bundestag nun das von der Bundesregierung eingebrachte Tarifautonomiestärkungsgesetz und damit Regelungen zum Mindestlohn beschlossen. Und wir müssen feststellen: Angela Merkel hat sich durchgesetzt. Denn was der Bundestag beschlossen hat, ist kein allgemeiner Mindestlohn, sondern ein Flickenteppich. Ein Flickenteppich mit sehr großen Maschen. Durch diese, so hat der DGB vorgerechnet, fallen drei Millionen Menschen. Fakt ist also: Die Bundesregierung verweigert drei Millionen Menschen den Mindestlohn. Soweit, so schlecht.

Gut ist, dass es jetzt endlich auch in Deutschland einen Mindestlohn geben wird. Obgleich kein anderes westeuropäisches Land einen derart großen Niedriglohnsektor hat wie die Bundesrepublik, reagierte der Gesetzgeber sehr spät und erst unter großem gesellschaftlichen Druck. Das bedeutet: Deutschland bleibt vorerst Schlusslicht und unter seinen ökonomischen Möglichkeiten. Hier wurde der Mindestlohn mit so vielen Ausnahmen durchlöchert, wie in keinem anderen europäischen Land. Jugendliche unter 18 Jahren sind komplett ausgenommen genauso wie Langzeitarbeitslose und Praktikantinnen und Praktikanten während der ersten sechs beziehungsweise drei Monate der Beschäftigung. Durch Tarifverträge sind Abweichungen nach unten möglich. Das kehrt die Idee von Tarifverträgen völlig ins Gegenteil und die Gewerkschaften werden zu Handlangern von Lohndumping gemacht. Zeitungszustellerinnen und -zusteller erhalten den Mindestlohn erst ab dem Jahr 2017 und bei Saisonarbeiterinnen und -arbeitern können Kost und Logis auf den Mindestlohn angerechnet werden. Das sind geradezu feudalistische Strukturen des letzten Jahrhunderts. Willkommen im Absurdistan des großkoalitionären Mindestlohns.

Die Idee des Mindestlohns ist nach wie vor richtig und wichtig. Wir brauchen eine untere Haltelinie, um Arbeit vor maßloser kapitalistische Profitgier zu schützen. Das hat jedoch erst einmal nichts mit dem eigentlichen Wert der Arbeit zu tun. 8,50 Euro brutto pro Stunde spiegeln den Wert von Arbeit in keiner Branche wieder. Es geht also in erster Linie um den Schutz der Beschäftigten und um ihre Würde. Absolut inakzeptabel ist es deshalb, wenn die Bundesregierung sich von der Arbeitgeberlobby diktieren lässt, wessen Würde weniger Wert ist. Die Würde eines Menschen ist kein Gnadenbrot und darf nicht nach Gutdünken der Bundesregierung verschleudert werden. Alle jetzt vom Mindestlohn ausgenommen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf Arbeit und Gerechtigkeit.

Mir haben die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die in den letzten Wochen vor dem Bundestag demonstriert haben, mit ihrem Slogan aus dem Herzen gesprochen: Würde kennt keine Ausnahmen.

Die zur Schau gestellte Selbstzufriedenheit der SPD nach der Abstimmung des Mindestlohns ist mir vor diesem Hintergrund unbegreiflich. Sie war mit Kanzler Schröder und ihrer Agenda-Politik maßgeblich daran beteiligt, dass sich der Niedriglohnsektor so rücksichtlos in unserem Land ausgebreitet hat. Auch heute arbeitet jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte bei uns im Niedriglohnbereich. Die vielen SPD-Mitglieder, die in der Mitgliederbefragung im letzten Jahr dem Koalitionsvertrag zugestimmt haben, taten das vor allem wegen dem Mindestlohn. Von den großen Maschen und den vielen Menschen, die jetzt leer ausgehen, stand in diesem Koalitionsvertrag keine Silbe.

DIE LINKE hat sich in der letzten Woche im Bundestag bei dem so genannten Tarifautonomiestärkungsgesetz enthalten. Wir haben dies in dem Wissen getan, dass es gleichwohl ein Erfolg der Gewerkschaftsbewegung ist, dass es nun überhaupt eine gesetzliche Lohnuntergrenze gibt, auch wenn sie löchrig und viel zu niedrig ist. Die Enthaltung verstehen wir aber als Ansage an die anderen Parteien: Wir werden das Thema nicht aus den Augen lassen, wir werden unbeirrt für die notwendigen Verbesserungen streiten. Natürlich müssen die Ausnahmen aus dem Gesetz so schnell wie möglich verschwinden, und es muss eine Anhebung des Mindestlohns erfolgen. Das ist im Interesse nicht nur der Niedriglohnbeschäftigten, sondern aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Denn nur ein stabiler Mindestlohn kann generell die Grundlage für Einkommenszuwächse sein, auch in den mittleren Gehaltsgruppen.

 

linksfraktion.de, 9. Juli 2014