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Menschenrechte sind kein Kostenfaktor und kein Gnadenakt

Nachricht von Ilja Seifert,

Zur Unterrichtung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales über den Ersten Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, Drs: 17(11)602 die heute vorgestellt wurde, erklärt der behindertenpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Ilja Seifert:

Die Bundesregierung bleibt sich treu in Selbstgefälligkeit und Ignoranz: die massive Kritik behinderter Menschen und ihrer Verbände an dem Nationalen Aktionsplan wurde kaum berücksichtigt und spiegelt sich auch im ersten Staatenbericht der Bundesregierung in keiner Weise wider.

Ganz im Gegenteil: der Staatenbericht ist ein noch größerer Verschleierungsversuch. Der Umstand, dass ein großer Teil von MmB im reichsten europäischen Land in Armut leben muss, weil die Gesetzeslage Teilhabeleistungen an vorhandene Armut bindet, also erst arm macht – wird völlig ausgeblendet. Dementsprechend wird die Forderung der Behindertenverbände nach voller Teilhabe konsequent nicht als soziale Teilhabe, sondern beschränkt als vor allem rechtliche Teilhabemöglichkeit interpretiert. Der eklatante Widerspruch zwischen rechtlichen Möglichkeiten und ihrer oft fehlenden Umsetzung in der Praxis wird weder untersucht noch eingeräumt. Die Frage, inwieweit die UN-Konvention eine Überarbeitung und Fortentwicklung deutscher Gesetze notwendig macht, ist gar nicht zugelassen. Allenfalls auf der Ebene von Verordnungen soll modifiziert werden. So wundert es nicht, dass der Bericht mit keinem Wort auf den vorliegenden Teilhabe-Gesetzentwurf der behinderten Juristinnen und Juristen eingeht.

Der diesem Gesetzentwurf zu Grunde liegende Behinderungsbegriff unterscheidet sich von dem durch die Bundesregierung sowohl im Aktionsplan als auch in diesem Staatenbericht verwendeten deutlich. Der Gesetzentwurf geht von der Verantwortung der Politik für eine inklusive Gesellschaft insgesamt aus – fordert also eine andere Politik, die die Wahrnehmung von Menschenrechten einkommens- und vermögensunabhängig sichert.

Die Bundesregierung erklärt „eine erfolgreiche Inklusion behinderter Menschen in die Gesellschaft lässt sich finanziell kaum messbar darstellen“ und klammert zugleich den §13 des SGB XII, der die Gewährung von Leistungen unter Kostenvorbehalt stellt, aus dem Bericht aus. Die nicht erfolgreiche Inklusion lässt sich allerdings in Zahlen darstellen: anhand der Armutsquote, der Arbeitslosenquote, der Zahl von Menschen in Sondereinrichtungen, fehlender Ausbildungsplätze und armutssichernder Vergütungen von Menschen mit Behinderungen in Werkstätten. Darüber schweigt die Regierung im Bericht.

Ebenfalls unerwähnt bleiben notwendige Regelungen zur Assistenz für Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen. Gesprochen wird über das „Persönliche Budget“ – das die Nutzung sozialer Leistungen als Einkauf auf dem freien Markt gestaltet - und deren mangelhafte Akzeptanz in Deutschland. Über die Ursachen kein Wort. Das ist kein Zufall. Wer, wie die Bundesregierung die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention unter Kostenvorbehalt stellt, entwickelt natürlich keine Politik, die „Mehrkosten“ verursacht. Wer jedoch, wie die Bundesregierung die Umsetzung von Menschenrechten zu einer Kostenfrage macht, höhlt Menschenrechte aus und verhindert die Umsetzung der UN-Konvention. Wenn „Diskriminierung bedeutet, Menschen zu benachteiligen“ wie es im Bericht heißt, dann diskriminiert die Bundesregierung, in dem sie es unterlässt, politische Maßnahmen aufzuzeigen, um die reale Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Alltag sicher zu stellen.

Dazu würde ebenfalls gehören, Sanktionen bei Verstößen gegen bestehende rechtliche Regelungen deutlich zu verschärfen. Zu diesem Thema kein Wort.  Nichts über die Wirkung der Ausgleichsabgabe, nichts über die ungleiche Rechtsprechung bei sexuellem Missbrauch behinderter Frauen und Mädchen, nichts über die diskriminierende Wirkung von nicht bedarfsdeckenden Verwaltungsentscheidungen oder von undurchsichtigen Zuständigkeiten in der Verwaltung.

In dem Bericht der Bundesregierung werden Prinzipien und Rechte der Konvention entweder für bereits umgesetzt oder zur Verhandlungssache erklärt. Insbesondere gilt Barrierefreiheit entweder als rein technisches Problem oder als Verhandlungsgegenstand vor Ort. Erst mit dieser Grundhaltung wird eine Novelle wie die Fernbusrichtlinie des Verkehrsministeriums möglich, die barrierefreie Fahrzeuge eben nicht zwingend vorschreibt und so Menschen mit Handicap bewusst in ihrer Mobilität einschränkt.

Die Bundesregierung berichtet nicht über die Umsetzung der UN-Konvention, sondern legt ein Armutszeugnis ab über ihr Politikverständnis, das Verwirklichung von Menschenrechten immer noch als Gnadenakt versteht und damit den Menschen doch wieder zum Objekt der Fürsorge herabsetzt.