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»Menschen wie Frau Erfan geben mir Kraft für meine tägliche Arbeit«

Im Wortlaut von Katrin Werner,

Von Katrin Werner

Habibe Erfan, eine Frauenärztin aus Afghanistan, streitet für eine gerechte Entschädigung der Hinterbliebenen des Bombenangriffes der NATO auf eine Menschenmenge bei Kundus in Afghanistan. Ich hatte die einmalige Gelegenheit, mit Frau Erfan zusammenzutreffen und gemeinsam eine Veranstaltung mit ihr durchzuführen.

Die Menschenrechte gelten nicht nur für Amerikaner und Europäer, sondern auch für uns Afghanen, fordert Habibe Erfan während der Veranstaltung. Diesem Ziel und langfristiger Hilfen für die hinterbliebenen Frauen und Kinder widmet sie ihre ganze Kraft und ihr Engagement. Sie reist bis nach Deutschland, um dort vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages auszusagen. Sie möchte ihre Sichtweise der Ereignisse schildern. Vom Tag der Bombenangriffe erzählen. Ein Tag, seitdem in Kundus nichts mehr ist, wie es vorher war.

Während die Bundewehr noch von einem erfolgreichen Schlag gegen die Taliban spricht, redet Habibe Erfan mit den Dorfbewohnern, bekundet den Hinterbliebenen ihr Beileid. Erschüttert muss sie feststellen, dass es immer mehr Opfer zu beklagen gibt. Besonders schlimm ist die Situation für die Frauen, deren Männer gestorben sind. In einer Welt, die von Männern dominiert ist, fehlt von heute auf morgen der Haupternährer und Beschützer. Diese Frauen stehen mit ihren Kindern nun alleine da.

Sie sammelt Dokumente, Unterlagen und Wahlausweise, um zu helfen, die Identität der Toten zu klären. 113 Tote zählt sie am Ende, darunter 26 Kinder. Und nur 5 davon waren Taliban - sie hatten keinen Wahlausweis. Denn Taliban gehen nicht wählen.

Aber es sind nicht nur die Strapazen einer langen Reise, die sie auf sich nimmt. Sie berichtet, dass sie und ihre Familie während ihrer Recherchen Todesdrohungen erhalten haben. Sie weiß, dass es nach ihrer Rückkehr noch schwieriger werden wird. Doch Frau Erfan ist eine starke Frau. Sie gibt nicht auf. Beharrlich verfolgt sie ihr Ziel, den Opfern zu Gerechtigkeit zu verhelfen.

Ich bewundere den Mut von Frau Erfan. Trotz Risiken für das Leben ihrer Familie und ihr eigenes setzt sie ihre Arbeit fort. Menschen wie sie geben mir Kraft für meine politische Arbeit in Deutschland.

Auch die Zuhörerinnen und Zuhörer zeigten sich beeindruckt von ihrer Arbeit, aber auch erschüttert von dem Leid das vor Ort in Afghanistan herrscht. Interessiert haben die knapp 40 Gäste den Vortrag verfolgt. Woher nehmen Sie die Kraft für ihre Arbeit, fragt eine Frau aus dem Publikum. Aber aufgeben gibt es für Frau Erfan nicht. Sie berichtet, dass es einfach so viel zu tun gibt für die Hinterbliebenen. Ihnen steht eine gerechte Entschädigung zu. Die Hilfen und Gelder müssen aber auch vor Ort angekommen. Auch diese Aufgabe muss geleistet werden.

5.000 Dollar hat die Menschenrechtskommission den Opfern angeboten. Doch Witwen dürfen das Geld nicht selbst in Empfang nehmen, sie müssen einen Mann als Stellvertreter schicken, der das Geld in Empfang nimmt. Und darauf hoffen, dass er damit wiederkommt.

Frau Erfan hat auch dafür bereits eine Lösung. Sie schlägt vor, für betroffene Frauen Konten einzurichten. Somit können sie frei über das Geld verfügen, denn Frauen ist es immerhin erlaubt, zur Bank zu gehen.

Andere fragten, wie die Versorgung der Verletzten geregelt wurde oder auch ob es weitere medizinische Leistungen für die Hinterbliebenen gibt. Frau Erfan berichtete, dass es lediglich eine Erstversorgung gab und auch keine Möglichkeiten das Erlebte aufzuarbeiten. Viele Menschen sind traumatisiert.

Aber Frau Erfan richtet ihren Blick nicht nur auf ihre eigene Region. Sie kandidiert für das afghanische Parlament. Wir Afghanen lieben unser Land. Das kommt authentisch rüber. Am Ende des Vortrages ist mir klar, diese Frau wird alles tun für ihr Land und für eine Verbesserung der Lebenssituation der Menschen. Wir brauchen mehr starke Frauen wie Frau Erfan. Ich wünsche ihr weiterhin viel Erfolg für ihre Arbeit.

Während der Vortragsreihe wurden Gelder gesammelt, damit die Geschädigten gerichtlich für eine angemessene Entschädigung kämpfen können. Das Geld kann das Leid nicht ungeschehen machen, aber es setzt ein Zeichen, dass die Menschen in Kundus nicht allein sind.

www.linksfraktion.de, 5. November 2010