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Maurer kritisiert »Dummheiten« in der Linkspartei

Im Wortlaut von Ulrich Maurer,

Mauerbau-Debatte, Castro-Glückwunsch: Die Linke stolpert von einem Streit in den nächsten. Fraktionsvize Ulrich Maurer hat deshalb bei einigen Parteifreunden Zweifel an der politischen Zurechnungsfähigkeit.

Bleiben Sie, Herr Maurer, auch sitzen, wenn auf einer Gedenkfeier der Toten an der Mauer gedacht wird?

Ulrich Maurer: Nein. Natürlich nicht.

Warum nicht? Sie sitzen damit nicht auf der Linie vieler ihrer Parteifreunde.

Weil ich zu allen Zeiten meines Lebens immer gesagt habe, dass der Bau der Mauer eine unmenschliche Aktion war und den Linken dieser Welt nur geschadet hat. Im übrigen deckt sich meine Auffassung mit der ganz überwiegenden Meinung in meiner Partei und so sind auch die Beschlüsse unserer Parteitage. Es sind ganze drei von 180 Teilnehmern des Landesparteitags sitzen geblieben.

Aber im Urlaub fliegen Sie doch gewiss nach Kuba, um das Paradies zu genießen, das Fidel Castro für die Werktätigen dort geschaffen hat?

Ich fliege im Urlaub nicht nach Kuba, aber ich war schon dort. Kuba ist ein Land, das sich im Umbruch befindet. Das sich vorsichtig für Reformen zu öffnen versucht. Das ist ein Prozess, den man unterstützen muss. Aber natürlich entspricht Kuba nicht unseren Vorstellungen von Demokratie.

Die Hälfte der angeblich so beglückten Kubaner ist in die USA geflohen, die andere Hälfte wäre auch längst weg, wenn man rüberschwimmen könnte. Müsste das nicht auch den Menschen in der Linkspartei zu denken geben, die jetzt das System von Fidel Castro quasi zum sozialistischen Paradies hochjubeln?

Erstens ist es so, dass es in der Karibik und auch in Lateinamerika noch andere Staaten gibt, in denen die Menschen im Vergleich zu Kuba ein wesentlich schlechteres Leben haben. Ich habe zum Beispiel noch nie gehört, dass jemand aus Kuba etwa in das von den USA dominierte Haiti zu flüchten versucht hat, wo ein Massensterben angesagt ist. Notwendig ist ein differenzierter Blick auf Kuba. Das Gesundheitssystem zum Beispiel ist vorbildlich. Dort sterben die Kinder nicht, die Menschen werden sehr alt, viel älter als in allen Staaten mit einem vergleichbaren Entwicklungszustand. Aber die Demokratie- und Freiheitsrechte lassen natürlich sehr zu wünschen übrig auf Kuba. Wer sich jetzt über die Glückwünsche der Linkspartei an Kuba aufregt, soll sich mal ansehen, welche Lobhudeleien auch schon die Bundeskanzlerin Merkel an fragwürdige Herrscherfiguren und Ein-Parteien-Herrscher aus Anlass von Staatsjubiläen verschickt hat. Die darf sich am wenigsten über die Linkspartei aufregen. Und selbst in Deutschland ist es nicht üblich, einen Menschen anlässlich eines Jubiläums zu beleidigen.

Sind Sie denn tatsächlich noch Mitglied der Linkspartei, deren stellvertretender Fraktionschef und Aufbaubeauftragter für die Bundesländer, da sie sich derart differenzierte Urteile leisten, was in ihrer Parteiführung ja offenbar unüblich ist.

Ich gehöre zu denen, die glauben, dass die Linke ein großes historisches Projekt ist, auf das viele Menschen hierzulande gewartet haben. Wir sind allerdings in einer politischen Situation, in der wir uns Dummheiten, wie sie derzeit in der Linkspartei stattgefunden haben, in Zukunft nicht leisten können.

Wie bewerten Sie, was die Vorsitzende Gesine Lötzsch im Namen der Partei derzeit betreibt, sagt und schreibt? Ist das parteischädigendes Verhalten? Und Torpedierung der Wahlchancen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin? Ihrem Berliner Landesvorsitzenden, Klaus Lederer, steht das alles bis zum Kragenknöpfchen. Auf Facebook wird die Linkspartei veralbert als Verein von Knallchargen, der das ganze Tafelsilber von Honecker versilbert.

Die Form der öffentlichen Debatte, wie sie in den vergangenen Wochen von der Linkspartei geliefert worden ist, schadet unserer Partei. Manche haben sich unglücklich verhalten, einige haben absichtlich gezündelt. Wenn ich heute in der Zeitung lese, dass einige in Berlin bereits die Frage erörtern, wer denn an einer Wahlschlappe schuld ist, dann kann ich nur sagen: Das ist wirklich ungefähr das Dümmste, was eine Partei im Wahlkampf überhaupt tun kann. Das ist ein klares Signal an die Wähler: Die haben schon alles verloren gegeben. Ich sage dagegen, dass noch gar nichts verloren ist, weder in Mecklenburg-Vorpommern noch in Berlin. Den Berlinern müssen wir klar machen, was sie erwartet, wenn ohne uns keine soziale Politik mehr stattfindet. Wenn die hemmungslos neoliberal gewordenen Grünen in Berlin mit der SPD oder der CDU koalieren, werden den Menschen in Ost- und in Westberlin bald die Tränen kommen, über das, was ihnen dann eiskalten grünen-roten Herzens zugemutet wird.

Wie muss man sich erklären, dass der Partner von Lötzsch im Parteivorsitz, Klaus Ernst, sich da hineinziehen lässt und nicht klar auf Distanz geht? Bisher schien er uns ein klar denkender Politiker mit dem Verstand eines erwachsenen Gewerkschafters gewesen zu sein.

Klaus Ernst hat eine glasklare Ablehnung der ganz wenigen Sitzenbleiber vor den Maueropfern in einem Interview zu Protokoll gegeben. Daran hält er fest. Ernst hat im übrigen den Jubelbrief nach Kuba gar nicht zu sehen bekommen, auch Lötsch nicht. Den Brief hat der Unterschriftenautomat elektronisch unterzeichnet. Verschickt werden jetzt nur noch handschriftlich unterzeichnete Schreiben der Parteichefs.

Am Wochenende trifft sich die Linkspartei in Rostock zu einer Klausurtagung. Oskar Lafontaine, der Ex-Parteichef, wird auch dabei sein. Erwarten Sie, dass er seine ideologischen Chaoten zurechtweist? Von Gregor Gysi ist ja nicht viel zu hören zu diesem Verhalten der Parteiführung. Er geht nur vorsichtig auf Distanz.

Ich glaube, dass wir in Rostock dafür sorgen müssen, dass die Partei wieder zu ihrer eigentlichen Aufgabe zurückfindet. Wir stecken in einer Weltwirtschaftskrise, die Börsen spielen verrückt, die Menschen sorgen sich um ihre Zukunft. Wer in einer solchen Zeit vornehmlich über den Mauerbau, Kuba, Antisemitismus und Kommunismus diskutiert, der hat einfach nicht begriffen, worin die Existenzberechtigung unserer Partei besteht. Sie muss mit den wirklichen Sorgen der Menschen beschäftigen. Bei all jenen, die derzeit diese anderen Debatten so hitzig betreiben, bei denen habe ich ernste Zweifel an ihrer politischen Zurechnungsfähigkeit.

Wenn man Sie so hört, kann man glauben, dass Sie Sehnsucht nach einer Rückkehr von Oskar Lafontaine haben? Oder die Partei wieder mal energisch und glasklar daran erinnern, wofür sie einmal angetreten ist.

Ja, letzteres auf jeden Fall. Aber ich bin ja auch in dieser Frage mit Gregor Gysi rundum einig. Wir sind in großer Sorge, dass Leute, die unter schweren narzisstischen Störungen leiden, etwas verspielen wollen, wofür wir mit Lafontaine schwer gearbeitet und gekämpft haben.

stern.de, 24. August 2011