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Katrin Werner spricht vor der Anhörung auf einer Protestaktion des Deutschen Blinden und Sehbehindertenverbands (DBSV)

Massive Kritik am Bundesteilhabegesetz

Nachricht von Katrin Werner,

In der öffentlichen Anhörung zum geplanten Bundesteilhabegesetz machten die Sachverständigen auf die Hauptkritikpunkte und Unvereinbarkeiten mit der UN-Behindertenrechtskonvention aufmerksam und forderten Nachbesserungen: "Mit dem Bundesteilhabegesetz möchte die Bundesregierung ein 'modernes Teilhaberecht' schaffen, das aus dem derzeitigen 'Fürsorgesystem' herausführt. Menschen mit Behinderungen sollen bessere Unterstützung bei der gesellschaftlichen Teilhabe erhalten und ihr Wunsch- und Wahlrecht soll gestärkt werden. Dieses Ziel hat die Bundesregierung im vorliegenden Gesetzesentwurf klar verfehlt. Das wurde bei der gestrigen Anhörung deutlich", sagt Katrin Werner, behindertenpolitische Sprecherin der Linksfraktion.

Einer der Kritikpunkte war die befürchtete Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises. Zukünftig sollen Menschen Teilhabeleistungen nur erhalten, wenn sie in mindestens fünf von neun Lebensbereichen nur mit Unterstützung teilhaben können oder in mindestens drei Lebensbereichen auch mit Unterstützung nicht teilhaben können. Frau Dr. Elisabeth Fix (Caritas) kritisierte diese Regelung als willkürlich. Horst Frehe (Forum behinderter Juristinnen und Juristen) bezeichnete sie hingegen als völlig missglückt. Vor allem Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen würden dadurch diskriminiert. "Solche Regelungen sind von Leuten gemacht, die nichts von der Sache verstehen", so Frehe.

Daneben sollen zukünftig Teilhabeleistungen teilweise nachrangig gegenüber Pflegeleistungen gestellt werden. Betroffene befürchten dadurch Verschlechterungen aufgrund fehlender Teilhabeorientierung der Pflegeleistungen und Schnittstellenproblemen zu anderen Sozialgesetzbüchern. Nancy Poser (Forum behinderter Juristinnen und Juristen) befürchtet, dass dadurch zwei Klassen von Menschen mit Behinderungen geschaffen werden. Menschen die arbeiten können, erhalten Teilhabeleistungen und Menschen, die behinderungsbedingt nicht arbeiten können, Pflegeleistungen. Letztere werden dadurch schlechter gestellt. Die Fraktion DIE LINKE fordert in ihrem Antrag "Das Teilhaberecht menschenrechtskonform gestalten" (PDF) eine gleichrangige Gestaltung von Teilhabeleistungen und Pflegeleistungen.

Zudem ist im neuen Gesetz ein "Pooling" vorgesehen, nach dem Betroffene zukünftig dazu gezwungen werden können, Teilhabeleistungen mit anderen in Anspruch zu nehmen. Grundsätzlich sei diese gemeinsame Inanspruchnahme in manchen Fällen sinnvoll und möglich, stellte Nancy Poser fest. Im Falle der persönlichen Assistenz sei dies aber immer ein Verstoß gegen das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen, da dann keine selbstbestimmte Tagesgestaltung mehr möglich sei. Deshalb müsse ein Zustimmungsvorbehalt im Gesetz festgeschrieben werden.

Dr. Valentin Aichele (Deutsches Institut für Menschrechte) machte auf die Unvereinbarkeiten des Entwurfs mit der UN-Behindertenrechtskonvention aufmerksam. Der Behinderungsbegriff der Konvention sei nicht korrekt und vollständig ins Gesetz übernommen und die Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises sei ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention. Die Verbesserungen bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen der Betroffenen auf die Teilhabeleistungen seien zwar zu begrüßen, aber es fehle ein verbindlicher Ausstiegsplan aus der nicht menschenrechtskonformen Anrechnung.

Auch in Bezug auf die Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarkts gab es Kritik. Das geplante "Budget für Arbeit", das den Übergang von Menschen mit Behinderungen aus einer Werkstatt für behinderte Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt erleichtern soll, wurde zwar begrüßt. Gleichzeitig wies Herr Konstantin Fischer (BAG Werkstätten für behinderte Menschen) darauf hin, dass durch dieses Instrument keine massiven Übergänge zu erwarten seien. Silvia Helbig (DGB) forderte eine weitere Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen in den Unternehmen und wies auf die fehlende Bereitschaft von Arbeitgebenden hin, mehr Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen. Sie schlug eine deutliche Erhöhung der Ausgleichsabgabe vor, um größere Anreize für Arbeitgebende zu schaffen.

"Das geplante Bundesteilhabegesetz wurde gestern deutlich und massiv von nahezu allen Sachverständigen kritisiert. Die Vorschläge der Betroffenen und ihrer Selbstvertretungsorganisationen liegen seit Monaten auf dem Tisch. Die Große Koalition muss jetzt endlich handeln und auf Grundlage der UN-BRK ein Teilhaberecht schaffen, das seinen Namen verdient", sagt Katrin Werner.