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Marlene möchte mehr Klopse

Nachricht von Gregor Gysi,

Sechster und letzter Tag der Gysi-Sommertour durch Mecklenburg-Vorpommern


 


Der dreijährige blondlockige Sonnenschein steht an diesem Samstag Morgen unangefochten im Mittelpunkt des Frühstücksraums der Pension in Graal-Müritz, in der auch Gregor Gysi und sein Team übernachtet haben. Strahlend thront sie auf ihrem Babysitz, vor sich drei kleine Brotscheibchen mit Nougatcreme. Die mag sie aber nicht mehr essen. Sie sei jetzt satt und will noch Melone und zwei Klopse haben. Die fehlende Logik in dieser Aussage übersieht ihre Mutter mit einem Lächeln. Aber wie heißt es richtig? "Ich möchte", schiebt Marlene brav nach. Das nützt ihr aber nichts. Auch der gezielte Einsatz der Kampftränendrüse nicht. Ihre Eltern wissen, dass sie satt ist. Also wird sie entthront und läuft mit einem Lächeln für jeden Tisch, den sie passiert, auf die Spielecke los, die wohl für eben diese Momente eingerichtet wurde, in denen der Nachwuchs nicht mehr essen will und die Eltern genau das ungestört tun können, ohne die Kleinen aus dem Blick zu verlieren.

Marlene trifft auf ein etwa gleichaltriges Mädchen, das bereits mit Holzbauklötzern zugange ist. "Darf ich mitmachen?" Klar darf sie. Während die beiden ungestört ein Haus bauen, kommen ihre Mütter ins Gespräch. Marlene und ihre Eltern leben in Wittenberg in Sachsen-Anhalt, wo die Kleine einen katholischen Kindergarten besucht, seit dem sie ein Jahr alt wurde. "Das wäre bei uns in Hannover undenkbar. Da können sie froh sein, wenn sie mit drei Jahren einen Krippenplatz finden", sagt die Mutter von Marlenes Mitspielerin. Ihre eigene entgegnet: "Bei uns ist das ganz normal. Das machen alle so."

Was der Mutter aus Hannover in diesem Moment vermutlich nicht wirklich bewusst ist: Seit 1. August 2013 haben alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf eine Förderung in einer Kindertagesbetreuungseinrichtung oder Kindertagespflege. Die Bundesregierung ist aber weder mit sonderlichem Fleiß in Erscheinung getreten, dies zu propagieren noch die Voraussetzungen dafür zu schaffen, nämlich insbesondere in Westdeutschland die fehlenden Kitaplätze zu schaffen. Wer allerdings wie die Bayerische Landesregierung seine Zeit mit dem Vorausfüllen von Anträgen von Betreuungsgeld verschwendet, um sein antiquiertes Bild von der Mutter am Herd ins 21. Jahrhundert zu retten, hat natürlich keine Energie, sich für moderne Familienförderung stark zu machen. Vom Willen ganz zu schweigen.

Es ist wahrscheinlich eines von unzähligen Gesprächen, das Eltern mit anderen Eltern führen, die sich zufällig während des Urlaubs treffen und über ihren Alltag austauschen. Die Mutter aus Wittenberg wird unruhig. Heute geht es zurück nach Sachsen-Anhalt. In Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein enden die Ferien. Auf der Autobahn droht Stau. Und so bricht Marlene den Hausbau ab, verabschiedet sich und darf beim Hinausgehen natürlich noch einmal in die Schüssel mit den Klopsen greifen. "Jetzt sind ja alle Kinder weg", sagt das Mädchen aus Hannover traurig. "Ja, jetzt bis du wieder ganz allein", erwiderte ihre Mutter nachdenklich.

Nicht allein ist eine halbe Stunde später Gregor Gysi bei der Abschlussrede seiner Sommertour. Auf dem Platz vor der Seebrücke in Graal Müritz gibt es kaum noch ein Durchkommen. Zum 10. Friedensfest haben Initiativen, Organisationen, Tageszeitungen und Buchverkäufer Stände aufgebaut, an denen sich Interessierte drängen. Einige lediglich mit Badehose bekleidet. Hinter den Dünen wartet der Strand. Auch die Grünen haben sich hierher verirrt, was angesichts der langen Liste von Kriegseinsätzen, denen sie zugestimmt haben, schon ein wenig trotzig wirkt. Passender wirkt da eher schon, dass bei Gysis Rede neben Gesine Lötzsch der Botschafter Ecuadors in der ersten Reihe sitzt.