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Marktkriege

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen,

Gastkommentar: Die Aufgaben der Bundeswehr

Von Sevim Dagdelen

Nach den Vorstellungen von Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) stellen die in den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien ausformulierten Sicherheitsinteressen einen Meilenstein der Bundeswehrreform dar. In dem Papier mit dem Titel »Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten« wird klar benannt, wohin die Reise gehen soll: »Deutschland ist bereit, als Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität zur Wahrung seiner Sicherheit das gesamte Spektrum nationaler Handlungsinstrumente einzusetzen. Dies beinhaltet auch den Einsatz von Streitkräften.« Und es ist in der Tat eine schwindelerregende Geschwindigkeit, mit der solche Meilensteine des deutschen »Selbstbehauptungswillens« gesetzt werden – angefangen mit den Bomben auf Belgrad 1999 unter »Rot-Grün« . Die bittere Ironie der Geschichte besteht darin, daß deutsche Kriegseinsätze, Aufrüstung, und die wachsende Dominanz militärischer Wertvorstellungen und Interessen im gesellschaftlichen Leben unter einer fortgesetzten »Betonung des deutschen Friedenswillens und der Friedensabsichten« der jeweiligen Bundesregierungen möglich wurden.

Vor einem Jahr noch mußte Bundespräsident Horst Köhler (CDU) vorgeblich wegen seiner Wirtschaftskriegsrhetorik zurücktreten. Mittlerweile droht das Verteidigungsministerium offen, die »Erschließung, Sicherung von und den Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten« weltweit mit deutschen Streitkräften neu ordnen zu wollen. Wer an dieser Aufgabe nicht mittun will, fliegt raus und wird als Störenfried gebrandmarkt.

Mehrere Jahre gesellschaftlicher Umerziehung waren für die Rehabilitation deutscher Machtpolitik notwendig. Die Bereitschaft, militärische Auslandseinsätze als Friedensbeitrag zu verklären, bildet dabei den Gradmesser. Mittlerweile gilt für die Parteienlandschaft der Grundsatz, wer nicht bereit ist für Krieg, der soll auch nicht mitregieren dürfen.

Die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, mit denen das Militär zum ganz normalen Instrument der außenpolitischen Interessendurchsetzung erklärt wird, sind ebenso verfassungswidrig wie die außenpolitische Doktrin sämtlicher als »regierungsfähig« geltender Parteien. Denn auch, wenn die Praxis der Entsendung deutscher Streitkräfte seit dem Ende des Systemkonflikts längst dem im Grundgesetz festgeschriebenen Verteidigungsauftrag Hohn spricht, bestimmt nach wie vor Artikel 87a Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 115a als einzigen Zweck der Streitkräfte: die Verteidigung Deutschlands gegen einen militärischen Angriff. Davon jedoch kann heute keine Rede mehr sein. Mit de Maizières Richtlinien weniger denn je.

junge Welt, 28. Mai 2011