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»Manche ideologischen Positionen haben real wenig Relevanz«

Im Wortlaut,

 

Europaabgeordnete Gabi Zimmer spricht im Interview mit der Tageszeitung »neues deutschland« über den Zustand der EU und linke Ansichten zur europäischen Integration.

 

Ungelöste Flüchtlings- und Finanzkrise, wachsender Nationalismus, Aufgabe der Solidarität – schafft sich die EU gerade selbst ab?

Sie gibt zumindest einen Großteil ihrer Werte auf und stellt sich damit infrage. Es kommt jetzt darauf an, ob wir das akzeptieren oder ob es uns gelingt, tatsächlich linke Positionen für eine EU der Solidarität und Menschenrechte, der nachhaltigen sozialen, ökonomischen, ökologischen und demokratischen Entwicklung zu entwerfen und dafür zu mobilisieren.

Einige Linke, auch linke Parteien, dürften sich klammheimlich darüber freuen, dass sich die EU zerlegt.

Das halte ich für sehr kleingeistig. Es ist billiger Populismus, sich zu freuen, wenn die EU in Schwierigkeiten gerät. Ein Scheitern der europäischen Integration führt auch zu einer dramatischen Schwächung der Linken. Ein Rückzug in die Nationalstaaten löst keine der aktuellen Herausforderungen, setzt aber konservativ-nationalistische Stimmungen frei. Ich glaube, dass gerade die Linke gefordert ist, sich zu verständigen und eine gemeinsame europäische Politik zu entwickeln.

Lohnt es sich denn, für diese EU zu kämpfen?

Es lohnt sich, für eine EU zu kämpfen, die in der Lage ist, den sehr komplizierten globalen Fragen – ob Flüchtlingskrise, Klimawandel, Energie-und Umweltpolitik, militärische Konflikte – andere Werte zugrunde zu legen. Die sich nicht ausschließlich daran orientiert, wie sie im globalen Konkurrenzkampf bestehen kann und Zugriff auf noch mehr Märkte bekommt.

Ist Europas Linke bereit, gemeinsam in diese Richtung zu wirken?

Ich habe den Eindruck, dass manche ideologische Position in der praktischen Politik gar nicht diese Relevanz hat. Nehmen wir das Beispiel Portugal. Wenn ich nur danach gehe, was manche Linkskräfte nach außen erklären, dann dürfte es eine Unterstützung der sozialdemokratischen Regierung durch die Kommunistische Partei und den Bloco de Esquerda gar nicht geben. Aber real existiert diese Unterstützung. Es scheint also zu funktionieren, wenn man bereit ist, aufeinander zuzugehen und politische Mehrheiten zur Beendigung der Austeritätspolitik zu ermöglichen. Insofern sehe ich durchaus positive Signale, weil wir doch merken, dass wir bei allem Streit untereinander ein prinzipielles Interesse haben: die Lebensbedingungen der Menschen in den Vordergrund zu stellen.

Wie kann die Linksfraktion im EU-Parlament zur Zusammenarbeit der Linken in Europa beitragen?

Wir können Impulse geben, Vernetzungsarbeit unterstützen, Diskussionen befördern. Aber die Fraktion kann nicht Ausgangspunkt der Aktivitäten sein. Wir erwarten schon, dass sich hier insbesondere die Europäische Linkspartei, und auch DIE LINKE, für einen Diskurs der wirklich unterschiedlichen politischen Positionen innerhalb der Linken engagieren. Diese Debatte wird sich in der Fraktion widerspiegeln, aber wir können sie nicht stellvertretend für die Linkskräfte in Europa führen.

 

neues deutschland, 21. März 2016